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Zum Abschied still und leise Servus

■ Der flächendeckende Mitgliederschwund in Hamburgs SPD geht weiter Von Florian Marten

Während Hamburgs Einwohnerzahl kräftig nach oben schnellt, um fast 200.000 seit 1988, bricht die Mitgliederzahl von Hamburgs angeschlagener Volkspartei SPD regelrecht ein: Seit 1989 verabschiedete sich ein Viertel der damals noch 23.000 Mitglieder durch Tod, Austritt oder Fortzug. Gerade noch 17.393 sind im Dezember 1995 übriggeblieben.

Der freie Fall der Mitgliederzahlen geht nach Informationen der taz seither ungebrochen weiter. Die Verluste der SPD sind flächendeckend: Sie schwanken in den sieben Kreisen zwischen – 18 Prozent in Eimsbüttel und jeweils – 29 Prozent in Harburg und Hamburg-Nord. Die SPD-Mitgliederhochburg Wandsbek verlor zwar „nur“ 24 Prozent ihrer Karteikarten, stellt mit einem Minus von knapp 1.500 aber den absolut größten Rückgang aller Kreise.

Ausschlaggebend für die Rückgänge ist in erster Linie die Alters- und Sozialstruktur: Eimsbüttels vergleichsweise jugendlicher Touch bremste den Niedergang. Besonders herbe dagegen brach die SPD in Kirchdorf (-47 Prozent) sowie in Dulsberg, Langenhorn-Nord, Lohbrügge, Horn, Steilshoop und Lokstedt ein, wo jeweils mehr als ein Drittel dem rostroten Tanker Goodbye sagten. Stabile Mitgliederzahlen gab es allein in Sanierungs- und Neubaugebieten wie Allermöhe oder St. Pauli-Süd, wo die Partei den Ihren bei der Wohnungssuche nicht gerade im Wege stand.

Auch wenn Parteichef Jörg Kuhbier mit Blick auf das Minuswachstum betont, zwischen 1950 und 1965 habe Hamburgs SPD 17.000 Mitglieder verloren, 1970 bis 1980 nochmals 6.000 – die Verlaufskurve zeigt, daß nicht nur Väterchen Trend seine Finger im Spiel hatte: Einen dramatischen Knick erhielten die Mitgliedercharts in den Jahren 1991 und 1992, als der Diätenskandal mehr als jeden 10. Sozi aus der Partei trieb. Noch schlimmer dann das Jahr 1995: Knapp acht Prozent der Mitglieder sagten der Tragikomödie der Enkel Scharping, Schröder und Lafontaine still und leise einfach Servus – ein bislang einzigartiger Verlust. Halten diese Rückgänge an, dann wird die SPD in wenigen Jahren ihre klassische Hamburger Infrastruktur verloren haben.

Die SPD ist auf den Verlust ihrer Basis noch überhaupt nicht vorbereitet. Schon heute aber ist die alte Diskussions- und Streitkultur von Ortsverein, Distrikt und Kreis weitgehend zusammengebrochen: Immer mehr Sitzungen der unteren SPD-Ebene fallen mittels Masse einfach aus.

Ob die aktuelle SPD-Mitgliederkampagne – „Ja, rot steht mir gut!“ – das Blatt noch wenden kann, wagen selbst eingefleischte Parteisoldaten nicht zu hoffen. Kuhbier & Co. haben eine letzte Waffe in der Hand: Wenn schon Wähler und Mitglieder die Partei verlassen, soll wenigstens die Macht in den Händen der SPD bleiben.

Eine Wahlrechtsänderung mit undemokratischem Ein-Stimmen-Wahlrecht und einem ausgeklügelten Wahlkreisschnitt soll der Partei Ergebnisprozente und Bürgerschaftsmandate zuschanzen, die eigentlich schon längst perdu sind.

Landeschef Kuhbier übte sich bei seiner Rede auf dem Landesparteitag am 20. April trotzig im Nebelkerzenwerfen: „Das Zwei-Stimmen-Wahlrecht würde zum Verlust von mehreren Punkten der SPD bei zukünftigen Wahlen führen.“ Etwas anders formuliert: Das bisher in Deutschland kaum irgendwo anzutreffende Ein-Stimmen-Wahlrecht soll der SPD zum Gewinn von mehreren Punkten verhelfen.

Dem grünen Radikaldemokraten Martin Schmidt, der in Sachen Wahlrechtsänderung bislang noch auf das Nein von Statt-Partei und CDU vertrauen darf, wäre aber auch bei einem Durchmarschversuch der SPD nicht sonderlich bang: „Wir würden selber eine ganze Reihe von Wahlkreisen direkt gewinnen. Die geschwächte SPD könnte sich nicht sicher sein, ob sie nicht zwischen uns und der CDU zerrieben würde.“

In Deutschlands Ökohauptstadt Freiburg war es bei den Landtagswahlen am 24. März bereits soweit: Dort holte sich nach Jahrzehnten erstmals wieder die CDU das Direktmandat: Mit knapp über 30 Prozent lag sie hauchdünn vor den glatten 30 Prozent der SPD. Die Grünen steigerten sich auf 29 Prozent.

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