: Verdruckste, altlinke Ambivalenz
■ betr.: „Der Heizer auf der Kom mandobrücke“, taz vom 29. 4. 96
[...] Klar, daß jedes noch so kleine Wort der Anteilnahme für den fünf Wochen lang in einem Keller Angeketteten, für die Frau und den Sohn, fehlt. Einem „Exgenossen“ ist man das wohl nicht schuldig?! Aber daß Semler (und mit ihm die taz-Redaktion) es nötig hat, in solchen Formulierungen wie „widernatürliche Enthaltsamkeit“, „längst am Ort der Rekonvaleszenz“ einen stilistisch entgleisenden Schmierenjournalismus zu pflegen, zeugt – ja, von was eigentlich? Nicht nur von Neid auf einen Reichen, sondern auch vom Neid und kränkelndem Mißtrauen auf einen, der mit seinem Geld etwas politisch Sinnvolles und anderen Leuten Nützliches anzufangen versucht und vielleicht dabei auch noch Freude hat und Anerkennung genießt. Anders ist die saloppe Betonung, daß die Bezahlung des Lösegeldes ihn, Reemtsma, „gewiß nicht ruiniert“ habe, kaum zu erklären. Anders ist auch die Charakterisierung des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“, das „Institutsschiffchen“, als „wissenschaftliches Spielzeug“ für Reemtsma nicht zu erklären (diese Formulierung im Artikel ist durch Fettdruck hervorgehoben).
Nicht, daß Semler daran scheitern würde, die Verdienste Reemtsmas darzustellen. Woran es hapert, ist eine verdruckste, altlinke Ambivalenz, eine Häme, die ihm fast wider Willen in die Feder geflossen sein muß, und die ihn etwa dazu bringt, die Entführer schelmisch als „Bösewichter“ zu titulieren. Dazu paßt gut die neckische „Querspalte“ von Jens König auf Seite 10, die die mit Finanznöten kämpfende taz-Chefredaktion als Entführer schildert. Ein Brüller, nein, haben wir gelacht! Mit solchen Artikeln und Glossen ist auf die Dauer jedenfalls noch nicht mal ein Blumentopf zu gewinnen. Sabine Gürtler, Hamburg
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