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Ausgesperrt: Die Roma müssen draußen bleiben

■ Eine kleine Studie über Roma, die aus Deutschland hinaus in das „sichere Drittland“ Rumänien abgeschoben und dort ihrem Schicksal überlassen werden

Mit Genugtuung präsentiert das Bundesinnenministerium regelmäßig seine Statistiken über Asylbewerber. Seit der Artikel 16 des Grundgesetzes im Jahre 1993 geschliffen wurde, sinken die Zahlen der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge beständig. Der deutsche Stammtisch kann zufrieden sein. Was in den Erfolgsberichten aber nicht auftaucht, ist das Schicksal der Menschen, deren Reise in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach deutscher Abschiebehaft im Flugzeug endet. Zielort: Rumänien.

Die Abschiebepraxis in das von Deutschland deklarierte sichere Drittland sowie die Lebensbedingungen von Abgeschobenen vor Ort hat jetzt die „Forschungsgesellschaft Flucht und Migration“ untersucht. Ihre Mitarbeiter haben letztes Jahr in rumänischen Flüchtlingslagern und Abschiebegefängnissen recherchiert und Interviews geführt. Das Ergebnis ist jetzt unter dem Titel „Rumänien. Vor den Toren der Festung Europa“, erschienen.

Grundlage für die – meist unverzügliche – Abschiebung von RumänInnen, in der Hauptsache Roma, ist das deutsch-rumänische Rückübernahmeabkommen. Es trat am 1. November 1992, nur drei Monate nach dem Pogrom gegen Asylbewerber in Rostock- Lichtenhagen, in Kraft. Wo es darum geht, unliebsame „Sozialschmarotzer“ schnell wieder loszuwerden, erweisen sich die bundesdeutschen Behörden alles andere als zimperlich.

Aufgegriffenen Roma wurde die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, vorenthalten. Oft wurden Familien getrennt, um kurz darauf sowieso abgeschoben zu werden. Auch schwere Krankheiten waren für die erzwungene Heimreise kein Hinderungsgrund. Schmackhaft gemacht werden soll dem rumänischen Staat die „Rückübernahme“ durch Zugeständnisse bei der Annäherung an die Europäische Union. Auch erweist sich die Bundesrepublik großzügig, was die Förderung sogenannter Integrationsprojekte für Rückkehrer nach Rumänien angeht. Die Studie aber zeigt, daß diese Hilfen nur selten den Betroffenen zugute kommen.

In Rumänien sind Roma systematischem Terror ausgesetzt. Umgerechnet 300 Mark sind für eine Arbeitserlaubnis zu zahlen, wobei der rumänische Staat die Grundlagen der wirtschaftlichen Existenz der Roma gezielt vernichtet. Ständig werden Roma Opfer rassistischer Anschläge, vollständige Verwüstung oder Niederbrennen der Siedlungen gehören noch zu den harmlosen Varianten. Selbst bei Mord werden die Täter nicht verfolgt.

Auch MigrantInnen aus Kriegsgebieten Afrikas und des Nahen Ostens, die in Rumänien aufgegriffen werden, sind polizeistaatlicher Willkür schutzlos ausgeliefert. Monatelange Haft ohne gesetzliche Grundlage, Mißhandlungen und Folter und die Verweigerung eines Anwalts sind nur einige Attribute, um die desolate Lage der Flüchtlinge in dem Balkanstaat zu beschreiben – einem Land, das bislang weder ein Ausländer- und Asylgesetz noch ein Flüchtlingsstatut verabschiedet hat.

Doch der Westen, insbesondere Deutschland, schiebt weiter Flüchtlinge und die damit verbundenen Probleme nach Rumänien ab. Besonders schwer dabei wiegt der Umstand, daß der Westen Menschenrechtsverstöße, da wo es den eigenen Interessen dient, stillschweigend akzeptiert.

Bislang ist massiver Protest gegen die Abschiebungen nach Rumänien ausgeblieben. Die vorliegende Studie könnte ein erster Schritt sein, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, aus der heraus dieser Protest wachsen könnte. Barbara Oertel

Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, „Rumänien. Vor den Toren der Festung Europa“, Heft 2, Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Berlin, Rote Straße/Göttingen 1996, 175 Seiten, 12 DM.

In der gleichen Reihe liegen vor: Polen und Kurdistan

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