piwik no script img

Fratzenschneiden in der Welt

■ betr.: „Der Armenpriester und der Antisemit“ (Philosoph und Que rulant Garaudy schlägt sich auf die Seite der Auschwitz-Leugner, und Priester Abbé Pierre findet sein Buch schön), taz vom 30. 4. 96

Erinnerung an schwadronierende Philosophie, staubtrockenes Institut, Robespierre. Überhaupt eine Avantgarde, die meinte, in das Entsetzen über Auschwitz und Hiroshima hinein die Show mit Widerstandserlebnissen aus politischen Zeiten machen zu müssen. In voller Zufriedenheit mit einer autoritären Herrendemokratie, aber in der Gebärde von Barrikadenkämpfern das französische Kolonialmuseum mit Pathos dekorierend. Mal Marx, mal Pol Pot, mal Mao, mal Chomeini, ein stetes über Menschenleben, Würde, Freiheit Hinwegdozieren, Begriffespritzen von Nietzsche bis Heidegger. Die Geste des Aufstands im Straßencafé. Hier akademisch, in Serbien und anderswo praktisch lockeres Springen von Ideologie zu Ideologie, um nicht als Ich berührt zu werden. Jesus, Marx, Lenin, Chomeini und jetzt Hitler – was soll's?

Der rote Mai kam woanders her. Das war gut, Dany. Erst als die Diskussionen verstummten, hörte man das Dozieren. Kompromiß der autoritären Spießer an die fühlende und denkende Jugend: Revolution akademisch. – Jetzt kann ich mir nicht mehr vorstellen, daß Hannah Arendt je in Frankreich redete.

Wenn Roger Garaudy jetzt mit der Auschwitz-Lüge reist, frage ich mich, ob es nun auch eine lesende Jugend mit Killerglatze und Srebrenica-Kampfanzug, gibt mit Bedarf an Witzen über Massenmorden und anderem Thrill. Was hat Garaudy eigentlich zwischen 33 und 45 gemacht?

Und hier? Was war mit unseren linken und kritischen Koryphäen? Was hat zum Beispiel (apropos Reemtsma) Arno Schmidt von 33 (Versuch, bei der SS anzukommen) bis 44 (freiwillig zur Front, speziell auf dem Außenposten mit „Russenlager“) in Norwegen für Aufgaben erledigt? Warum schwieg er, warum fälschte er sein Geburtsdatum bei den Engländern? Fratzenschneiden in der Welt. Zeit, in den Spiegel zu blicken! Klaus Wachowski, Alzey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen