: Zynismus hat hier nichts verloren
Romantiker mit Hang zum Fußball: Elmar Goerden, einer der jüngeren Regisseure beim Theatertreffen, hat zuvor an der Schaubühne gelernt, die „Hardware des Theaters“ zu bedienen ■ Von Petra Brändle
„Ran“-Zeiten sind heilige Zeiten. Eine neue Bekanntschaft würde sich wahrscheinlich wundern, daß mit diesem netten jungen Mann am frühen Samstagabend nichts anzustellen ist. Da redet er so intelligent, wohltuend bescheiden, bedächtig und anregend über den „Schlagschatten der Vernunft“, vertraut vorbehaltlos dem pathetischen „Ach!“ auf der Bühne und bekennt sich freimütig zur moralischen Grundhaltung auf dem Theater. Außerdem malt er, liebt ganz besonders Max Beckmann und Bücher jeder Art, den Musiker Arvo Pärt, bügelt zu MTV und ist schlußendlich als Regisseur zum Theatertreffen geladen. Und dann fordert König Fußball Samstag abend seinen Tribut. Wenn die Theatertreffen-Jurorin Sigrid Löffler vom „Talentestau“ redet, der sich unbemerkt „hinter der Front der großen Regiefürsten“ gebildet habe, denkt sie wohl vor allem an diesen „Nachwuchsregisseur“: Elmar Goerden, gebürtiger Rheinländer, ist 31 Jahre, war jahrelang an der Schaubühne Assistent und rief in Köln zusammen mit Karin Beier zu Theaterwissenschafts-Studentenzeiten eine Shakespeare-Truppe ins Leben. Die Stuttgarter Inszenierung von „Blunt oder der Gast“ ist für Sigrid Löffler die große Entdeckung der letzten Spielsaison – und sie bangt und hofft mit der Inszenierung, daß sie den Umzug auf die größere Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters überlebe. Als intim, leise und äußerst feinsinnig charakterisiert sie das Spiel.
Kein Stückezertrümmerer legte hier Hand an, sondern ein Stückebewahrer. Konservativ in dem Sinne, daß er sich ganz auf den Pulsschlag und das Wesen eines Stückes verläßt. „Ich habe große Schwierigkeiten damit, wenn man ein Stück gegen seine innere Struktur bricht“ – Leander Haußmanns „Clavigo“ lag ihm 1992 deshalb wochenlang unverdaut im Magen. Wer im Schiller Theater nicht an die Liebe auf den ersten Blick glaube, müsse nicht, um dies zu vermitteln, „Romeo und Julia“ inszenieren, erklärte er weiter. Gegen den trendgemäßen Geschwindigkeitsrausch auf der Bühne, wie ihn soeben beispielsweise der 39jährige Regiekollege Gerhart Willert mit „Baumeister Solness“ auf dem Theatertreffen bescherte, tritt Goerden theatralisch auf die Bremse. Die Bühne ist für ihn „unbedingt ein Platz für Gegenentwürfe“. Gegenentwürfe der Art, die das postmodern-oberflächliche Klischee vom Wertverlust der jungen Generation wohltuend korrigieren: „Ich finde es allemal wertvoller, wenn man die Frage: ,Woran glaubst du?‘ angeht, als daß man sich über die Summe dessen definiert, was man verachtet.“ „Zynismus“, so sein Credo, „hat gar nichts am Theater verloren.“
„Blunt oder der Gast“ von Karl Philipp Moritz (1756–1793) stemmte er ganz ohne Striche auf die Bühne, bedächtig, mit langen Pausen. Durchaus ein Wagnis, genießt das wundersame Psychodrama des Goethefreundes doch keine besondere Reputation. Den Zeitgenossen des Autors (er schrieb auch den psychologischen Roman „Anton Reiser“) galt es als unspielbar, dann wurde es vergessen – bis 1994 Andrea Breth daran scheiterte. Wenige Tage vor der Aufführung wurde die Inszenierung mangels künstlerischer Qualität in den Theatergraben gesenkt. Zu dieser Zeit weilte auch Elmar Goerden an der Schaubühne und probte an seiner ersten Inszenierung, Sam Shepards „Liebestoll“. Im Produktionsstreß habe er deshalb vom Breth-Versuch nichts gesehen. Zum Glück, denn nur so habe er sich dem Stück gegenüber eine „heilige Unschuld bewahrt“, habe die Entdeckung des Schaubühnen-Dramaturgen Dieter Sturm selbst inszenieren können. Am Fragment „Blunt“ reizte ihn zuvörderst die konsequente Umsetzung eines menschlichen Urwunschtraums – der Vater, der seinen Sohn ermordet, darf seine Tat rückgängig machen. Zwei Schlußfassungen, ein tragisches und ein glückliches Ende, hat das Stück. Doch im Glück steckt noch immer die Möglichkeit des Mordes; und es gründet auf Verdrängung, denn der Vater darf an der Hochzeit nur teilnehmen, wenn er schweigt. In dieser psychologischen Struktur erkennt Goerden die „erste Diagnose eines totalen Schuldsyndroms“. Diese offensichtliche Vorliebe für psychologische Figurenführung rückt ihn stilistisch in Andrea Breths Nähe – doch als Schaubühnen-Schüler sieht er sich nicht, mag doch weder dort noch bei sich von einem „Stil“ reden. „An der Schaubühne habe ich gelernt, die Hardware des Theaters zu bedienen, wie man disponiert und koordiniert – und vor allem, wie man sechs Schauspieler gleichzeitig beobachtet.“ Die Momente, wenn er vor der Bühne sitzt und sich von den Schauspielern verführen läßt, sie sind ihm besonders kostbar und heilig. Nur nicht am frühen Samstagabend.
„Blunt oder der Gast“ von Karl Philipp Moritz, Regie: Elmar Goerden, Schauspiel Stuttgart, wird heute und morgen, jeweils 14 und 20 Uhr, in den Kammerspielen des Deutschen Theaters gezeigt: Schumannstraße 13a, Mitte
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