piwik no script img

Staatsräson vor Menschenrecht

■ Der Europa-Referent von Pro Asyl, Leuninger: Die Richter haben sich der Bonner Politik gebeugt

taz: Ihre langjährige Kritik am neuen Asylrecht ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur heißen Luft erklärt worden.

Herbert Leuninger: Rechtspolitisch gesehen stimmt das. Was aber die Wirklichkeit von Menschenrechten angeht, stimmt es natürlich nicht. Wir beurteilen die Entscheidung als eine taktische. Die Staatsräson wurde für wichtiger erachtet als der Erhalt des Menschenrechts auf Asyl. Das zeigt sich darin, daß die RichterInnen die Abschottungspolitik, die hinter dem Asylrecht steht, bestätigt haben.

In Ihren Augen sind die Bundesverfassungsrichter also Büttel der Politik und nicht die Hüter der Grundwerte der Verfassung.

Bei der viertägigen Anhörung beim Gericht mußten wir damit rechnen, daß es beachtliche Korrekturen an der Drittstaatenregelung und dem Flughafenverfahren anbringen würde. Das ist aber nicht geschehen. Lediglich das Flughafenverfahren wurde mit nur fünf zu drei Stimmen aufrechterhalten. Im Hintergrund muß eine metapolitische Debatte gelaufen sein, die die Richter sehr beeindruckt hat. Eine Debatte, die letztlich die pragmatischen Hinweise von Bundesinnenminister Manfred Kanther aufgenommen hat: daß nämlich durch eine Veränderung an der einen oder anderen Stelle das ganze sorgfältig geknüpfte Konzept zerstört werden könnte. Und daß, wenn das passiert, eine neue Diskussion über das Asylrecht aufbricht, die den mühsam ausbalancierten Frieden der Bundesrepublik in Gefahr brächte.

Hat die harte Kritik gegen vorangegangene Entscheidungen und die Drohung der CDU, gegebenenfalls das gesamte Asylrecht aus der Verfassung zu streichen, die Richter beeinflußt?

Ja. Wie will das Gericht eigentlich eine solch konzertierte Angriffssituation auf Dauer aushalten, ohne in die totale Isolierung zu geraten? Ich meine das nicht als psychologische Entlastung, sondern ich spreche das aus unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung, die die politischen Kräfte gegenüber dem Bundesverfassungsgericht haben.

Seit der Geltung des neuen Asylrechts gab es nachweisbare Fälle von Kettenabschiebungen. Wie bewerten Sie, daß das Bundesverfassungsgericht diese Fälle nicht zum Anlaß nahm, Korrekturen an der Drittstaatenregelung vorzunehmen?

Hier komme ich noch mal auf den Begriff der Staatsräson zurück, der ja nicht nur ein total negativer ist. Hier offenbart sich eine Grundhaltung, die es auch in den vergangenen Jahren beim Gericht gegeben hat. Nämlich der Vertrauensvorschuß, den das Bundesverfassungsgericht anderen Staaten hinsichtlich deren Rechtsstaatlichkeit und ihrer Einbindung in internationales und europäisches Menschenrecht gibt. Was diesen Aspekt angeht, so hat das Gericht bei seiner sehr späten Entscheidung – wir haben eine solche ja bereits vor zwei Jahren erwartet – auch auf die Zeit gesetzt und darauf, daß sich in den betroffenen Ländern Mittel- und Osteuropas ein gewisser Konsolidierungseffekt zeigen wird.

Zu Recht?

Mittel- und längerfristig vielleicht. In Polen und der Tschechischen Republik sind noch fünf Jahre anzusetzen, bis Strukturen entwickelt sind, die vergleichbar sind mit bisher gültigen Standards in Europa. Die anderen Staaten wie die baltischen, die Ukraine, Weißrußland und so weiter werden vielleicht, wenn sie den Weg zu demokratischen Rechtsstrukturen unbehindert gehen können, in zehn Jahren auf einem Niveau sein, das mit dem, was wir unter Sicherheit verstehen, kompatibel ist.

Nach diesem Urteil dürfte es für Menschenrechtsorganisationen schwer werden, für die Interessen von Flüchtlingen zu werben. Künftig wird man Ihrer Kritik immer entgegenhalten, daß das Bundesverfassungsgericht das geltende Recht und damit auch die Sicherheit von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, abgesegnet hat.

Ja. Die Absegnung durch das Oberste Gericht stärkt in einer ganz ungewöhnlichen Weise – und das ist in einem Rechtsstaat durchaus auch verstehbar – die Kräfte, die den Asylkompromiß mit schlechtem Gewissen produziert haben. Sie dürfen sich jetzt entlastet fühlen. Und das waren viele nicht. Sie spürten, da stimmt etwas nicht, und es bestand lange eine sehr große Angst, auch in konservativen Kreisen, daß das Bundesverfassungsgericht eine Änderung vornehmen könnte.

Was bedeutet das Urteil für die Arbeit auf europäischer Ebene?

Auch hier gilt, daß diese erschwert ist. In den vergangenen zwei Jahren habe ich gelernt, daß Deutschland eine ungewöhnlich starke Rolle in der Formulierung der Abschottungspolitik in Europa hat. Andere vergleichbare Staaten wie Österreich, die Schweiz, Frankreich und Schweden orientieren sich sehr stark an der Bundesrepublik, und diese nimmt bei internationalen Konferenzen eine sehr restriktive Rolle ein, auf die sich die anderen nicht nur wohl oder übel, sondern in vielen Fällen auch gern einlassen.

Der innenpolitische Sprecher der CDU, Herr Marschewski, sagte kurz nach der Urteilsverkündung, wir haben das liberalste Asylrecht der ganzen Welt.

Das ist ein Mythos, der nicht stimmt. Andere Länder haben gleiche oder günstigere Standards. Wir hatten bis 1992 das großzügigste Recht. Das haben wir geopfert. Für uns ist eine solche Formulierung von einem verantwortlichen Politiker ein unverantwortlicher Zynismus. Interview: Julia Albrecht

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen