: Auf der Suche nach der DDR-Identität
Enquetekommission des Bundestags mit einseitiger Gästeauswahl: Nur Opfer des „SED-Regimes“ waren geladen, um über die Ostidentität zu diskutieren. Sind Ostler Immigranten? ■ Aus Magdeburg Uwe Ahlers
Die DDR war ein kleingeistiges Sozialsystem, das den Widersprüchen zwischen Anspruch und Wirklichkeit nur mit Repressionen zu begegnen wußte. Darin stimmten Mitglieder und Gäste der Enquetekommission des Bundestages zur Aufarbeitung der Folgen der SED-Dikatur bei einer zweitägigen Anhörung in Magdeburg fast stereotyp überein. Wäre da nicht der Schriftsteller Jürgen Fuchs gewesen, die Veranstaltung wäre in Langeweile verplätschert.
„Warum schlägt mein Herz so wild?“ fragte Fuchs im Anschluß an eine kurze Lesung und gab gleich die Antwort: „Hier sitzt ein Mann, der früher mein Marxismus-Leninismus-Professor war, seinen Studenten das richtige Klassenbewußtsein eingebimst und mit dafür gesorgt hat, daß meine Diplomarbeit nicht angenommen wurde.“
Er meinte den PDSler Ludwig Elm, Mitglied der Enquetekommission des Bundestages. Elm verschlug es zunächst die Sprache. „Ich bitte um Verständnis dafür, daß meine Antwort nur fragmentarisch sein kann“, meinte er. „Möglicherweise hätte ich schon früher auf Herrn Fuchs zugehen und eine Aussprache suchen müssen.“ Dann stellt sich Elm selbst als kritischen Querdenker dar, der sich ja immerhin schon im Sommer 1989 vom SED-System abgewandt habe und nicht in Treue fest bis zum November zur SED gestanden habe.
„Es hat natürlich Verdrängungen und Belastungen gegeben, die mich daran gehindert haben, diesen Schritt schon früher zu gehen“, gibt er immerhin zu. Und muß sich von dem 1977 nach neunmonatiger Untersuchungshaft aus der DDR ausgebürgerten Fuchs vorwerfen lassen, heute das Gesicht für einen Begriff in die Kameras zu halten, für den er, Fuchs, 1976 noch in den Knast gegangen sei. „Daß ausgerechnet Sie jetzt den Demokratischen Sozialismus hochhalten, macht Sie für mich unglaubwürdig“, poltert Fuchs.
Die Konfrontation zwischen dem Lyriker Fuchs und seinem früheren ML-Professor war eines der wenigen Highlights der Anhörung, die der Frage nachging, ob es eine eigenständige DDR-Identität gibt. „Mit der Öffnung der Mauer im Jahr 1989 ist die DDR keinesfalls vollständig untergegangen“, fand denn auch der Vorsitzende der Kommisison, Rainer Eppelmann (CDU). Eppelmann verglich die Brüder und Schwestern der Ex- DDR im nunmehr vereinten Deutschland mit Immigranten, deren Integration in der neuen Heimat mindestens drei Generationen dauere. „Die erste Generation zieht sich in sich und auf sich selbst zurück“, erklärte er. „In der zweiten Generation kommt es in dieser Abkapselung zu ersten gruppeninternen Konflikten, aber erst in der dritten Generation kommt es dann tatsächlich zu Verschmelzung, Angleichung und Assimilation.“
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner meinte: „Wir Ostdeutschen sind Einwanderer. Wir sind als Partner in das gemeinsame Deutschland gekommen, und nun kommt es darauf an, daß uns der Westen als wirklich gleichberechtigte Partner akzeptiert.“
Bis 1989 hätte er Stein und Bein geschworen, daß es eine eigenständige DDR-Identität nicht gibt. Erst nach der Wende habe auch er überrascht feststellen müssen, daß so etwas augenscheinlich doch existiert. „Aber das, was jetzt mit Erstaunen als sogenannte DDR- oder Ostidentität bestaunt wird, ist in den sechs Jahren seit der Wende viel intensiver geprägt worden als in den 40 Jahren DDR zuvor“, gab er sich überzeugt.
Auch der SPD-Gründer in der DDR und deren letzter Außenminister Markus Meckel wies alles Gerede von der eigenen Identität Ost zurück. „Es wäre ja völlig absurd, daß die Täter des Regimes heute die gleiche Identität haben sollten wie die Mitläufer und die Menschen, die sich in unpolitischen Nischen versteckt haben“, sagte er. Auch wenn das Kollektiv wie eine Käseglocke über der DDR gehangen habe, hätten die Menschen unterschiedliche und vor allem individuelle Erfahrungen gemacht, die sie und damit auch ihre Identität unterschiedlich geprägt hätten. „Die angeblich gemeinsame Identität von Tätern und Opfern des SED-Regimes wird doch nur durch das Fremdbild der Menschen im Westen auf die Ostdeutschen erzeugt“, findet auch die Schriftstellerin Helga Schubert, einst von der Stasi als „feindlich-negative Person“ eingestuft und mehr als zehn Jahre ständig bespitzelt.
Helga Schubert mag recht haben. Mit der Auswahl ihrer Gäste hat die Enquetekommission dafür gesorgt, daß dieses Zerrbild auch irgendwann in ihren Abschlußbericht einfließt. Denn zur Anhörung über die Existenz und Fortdauer der angeblichen DDR-Identität lud sie neben westdeutschen Wissenschaftlern ausschließlich Menschen, die in irgendeiner Form unter der Repression des SED-Regimes gelitten haben. Die Menschen, die sich anpaßten, die sich in private Nischen zurückgezogen und dort die DDR überdauert haben, oder auch einst überzeugte Aktivisten des Regimes standen nicht auf der Gästeliste der Enquetekommission. Dabei hätten auch sie sicherlich vieles zu erzählen gehabt über ihre Sozialisation in einem Staat, den es längst nicht mehr gibt, außer, so Eppelmann, in der Köpfen und Herzen seiner Bürger. Aber diese Angepaßten, die Mitläufer und die Aktivisten hätten womöglich das Bild gestört, das sich die Enquetekommission so gern von der ostdeutschen Identität machen möchte und das sie sich in Magdeburg eigentlich nur bestätigen lassen wollte.
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