: Unter technischer Belagerung
■ Das unabhängige Radio Zid in Sarajevo muß sich nach Kriegsende auf neue Zeiten, neue Schwierigkeiten einstellen. Ein Porträt des populären Senders der bosnischen Hauptstadt
Mitte März hatte der populärste Radiosender in Sarajevo, Radio Zid (Mauer), seine Hörer, alle politischen Parteien und Medien zu einer Räumaktion eingeladen: „Schickt eure stärksten Männer zu unserer Aktion ,Mauer bricht Mauer‘ (Zid rusi Zid).“ Rund siebzig Neugierige kamen an diesem Nachmittag zu der unabhängigen Radiostation. Als Radiogründer Zdravko Grebo die erstaunte Menge aufforderte ein Tag vor der Wiedervereinigung der bosnischen Hauptstadt, die zwei Jahre lang schützende Mauer aus Sandsäcken vor der Tür des Senders zu räumen, erntete er Erstaunen und Zuspruch: „Nach einer Stunde war die Sache erledigt“, erinnert sich Aida Kalender, die 24jährige Musikredakteurin. Zid-Hörer hatten kurzerhand die Sandsäcke auf den Pickup geladen, den der Soziologieprofessor und Alt-68er Grebo selbst fuhr. Seither erinnert vor dem kleinen Laden, in dem sich die Radiomacher einquartiert hatten, nur noch die Steinmauer, die sie zusätzlich zum Schutz vor Schüssen und Granaten gebaut hatten, an den Krieg.
„Es war während des Krieges nicht teuer, Radio zu machen“, – ein Sendemast, ein Plattenspieler, ein Kassettendeck und einige von ausländischen Journalisten gelieferte Platten und CDs. Das war's“, so Aida Kalender. Dabei leisteten die jungen Radiomacher – kaum einer ist über dreißig – weit mehr als einfache Ablenkung vom blutigen Alltag. „Wir hatten zahlreiche Professoren der Universität Sarajevo vor dem Mikrofon, die wöchentliche Kindershow wurde von kaum jemandem unter vierzehn versäumt.“
Insgesamt fünfzehn von dem radioeigenen Verlag herausgebrachte Bücher, die Monatszeitschrift Zidne Novine sowie die CD „Rock under Siege“ (Rock unter Belagerung) komplettierten das Alternativprogramm. Die Sammlung verschiedener Rocksongs von Bands aus Sarajevo ist die erste CD, die je in Bosnien-Herzegowina produziert wurde. „Erst Radio Zid gab uns die Möglichkeit, von vielen Leuten gehört zu werden“, sagt der 24jährige Almir „Doma“ Domangić, Musiker und Zid-Mitarbeiter. Konzerte waren meist unmöglich während einer Zeit, in der sich das Leben der Menschen ausschließlich in einem Umkreis von wenigen 100 Metern zwischen Wohnung und Wasserstelle abspielte. Garagen-Sound, Bildung und Erziehung. Zahlreiche Sponsoren, darunter die OSZE und das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, sichern die Unabhängigkeit des ersten Alternativradios in Bosnien-Herzegowina. Jetzt müssen sich die Macher des Bürgerradios auf neue Zeiten einstellen: „Vor acht Monaten haben wir mit der politischen Berichterstattung begonnen“, sagt die Musikredakteurin. Nach der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens und der vorläufigen Einstellung der Kämpfe in Bosnien-Herzegowina blicken die Radiomacher auf die bosnischen Wahlen, die spätestens im September abgehalten werden müssen.
Mit Unterstützung des US-amerikanischen Devisenspekulanten George Soros arbeitet Radio Zid zusammen mit der einzigen Unabhängigen Station im zentralbosnischen Zenica und Radio Chamäleon in Tuzla an einem Netzwerk, um gegen die übermächtige und von der Izetbegović-Regierung gelenkte staatliche Konkurrenz von Radio/TV Bosnien-Herzegowina bestehen zu können. „Wir sind jetzt quasi unter einer technischen Belagerung“, formuliert Aida Kalender in Anlehnung an die Belagerung der bosnischen Hauptstadt. „Das staatliche Radio und Fernsehen ist mittlerweile sogar über Satellit zu erreichen“, – während sich Radio Zid noch immer mit einem einzigen Sendemast zufrieden geben muß, mit dem gerade mal die 340.000 Menschen erreicht werden können, die in der Stadt leben. „Im Moment versucht ,Voice of America‘ eine stärkere Anlage für uns zu bauen oder zu mieten, mit der wir zumindest auch das Umland erreichen können.“
Unabhängige Berichterstattung ist immer noch Mangelware. Die von der Izetbegović-Partei SDA (Partei der demokratischen Aktion) geführten Behörden in Sarajevo bremsen. „Wir müssen weitermachen“, sagt Aida Kalender, „die Mauer vor unserer Tür ist jetzt weg, die in den Köpfen noch lange nicht.“ Frank Hofmann
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