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„Ärger ist ein sehr progressives Gefühl“

Yoko Ono geht auf Tour und bricht ihr langjähriges Schweigen: Sie spricht über die Friedensbewegung, ihr eigenes schlechtes Image, ihre neue Band und ihre Gewissensnöte bei der späten Veröffentlichung von „Beatles“-Songs  ■ Von Olaf Plotke

Alle reden von John und den anderen, von Yoko weit weniger. Zumindest nicht im guten. Yoko Ono, heute 61, in persona noch zierlicher als die Fotos vermuten lassen, ist die böse Hexe im Beatles-Märchen, die Frau, die's vermasselt hat, indem sie den guten John den Beatles und der ganzen Welt entfremdete. Aus Eigennutz und Selbstsucht, versteht sich.

„Ich weiß, was die Leute sagen“, meint Yoko Ono eher schüchtern denn im Ton der resoluten Geschäftsfrau, als die sie gehandelt wird. „Meistens sagen sie nicht gerade nette Sachen über mich. Bei meinem neuen Album haben die Leute auch gleich wieder gesagt: ,Yoko ist ja so clever. Sie bringt das Album genau dann raus, wenn auch die Beatles wieder etwas Neues herausbringen.‘ Dabei habe ich alles versucht, um das zu verhindern. Leider hat die Plattenfirma das nicht hingekriegt.“

Man mag das glauben oder nicht – Tatsache bleibt, daß „Rising“ viel mehr mit dem wahren Erbe der Beatles zu tun hat als nachkolorierte Postkarten aus ewigen Sechzigern à la „Free As A Bird“ oder „Real Love“. Die Platte ist im besten Sinne experimentell – ein Konzeptalbum mit minimalistisch gekürzelten Texten über das Ende der Liebe und das Ende der Welt, fein gekreischt, gegurrt und gestöhnt. Selbst wenn die Lieder über Minuten dahingrooven, bleiben sie fragmentarisch, Rohfassungen, die sich aus einem Sessionprogramm ergeben haben. Beatniktum im modernen Gewand. Fünfzehn Jahre nach der Ermordung Lennons lebt Yoko noch immer zurückgezogen mit dem gemeinsamen Sohn Sean im Dakota Building in New York. 1985 nahm sie „Starpeace“ auf, ein Album, mit dem sie auch in Deutschland auf Tournee war. Einhellig verriß die gesamte Presse nicht nur die Platte, sondern auch die Konzerte. Jetzt, über zehn Jahre später, ist Yoko Ono wieder da, gestärkt und voll Energie. „Rising“ heißt ihr Statement zu den Neunzigern.

Allerdings geht das nicht allein auf Yokos Konto, die Begleitband hat das ihre dazu beigetragen. Und an der wiederum ist John Lennon nicht ganz unbeteiligt. „Schmeiß die ganzen Studiomusiker raus“, legte ihr Sohn Sean nahe, „und nimm uns!“ Mit „uns“ meinte Sean Ono Lennon seine Band IMA. Eine dreiköpfige Band, deren Mitglieder zusammen gerade mal so alt sind wie Yoko – freundlich als „Schülerband“ bezeichnet, eine allerdings, die sich quer durch die Musikgeschichte spielt: Klavierloops, Rhythmen zwischen Grunge und – den Beatles, etwa „Weißes Album“.

Trotzdem will Yoko nicht den Eindruck entstehen lassen, die Musik sei ihr aufgezwängt worden. „Natürlich ist die Musik von mir“, erklärt sie resolut, räumt aber ein, daß Sean und seine Freunde viel zu den Arrangements beigetragen haben. „Ihre Musik ist sehr zeitgenössisch, und obwohl sie noch sehr jung sind, kennen sie mein Werk sehr gut. Als wir im Studio waren und ich sagte: ,Diesen Song machen wir wie ,What Did I Do‘, einen Song, den ich vor langer Zeit für mein Album ,Approximately Infinite Universe‘ aufnahm, erinnerten sie sich sofort an das Intro und an alles andere. Die Jungs sind wirklich sehr gut mit meiner Musik vertraut.“ Andere haben bereits Interesse an der Zusammenarbeit bekundet: Sonic Youth, Tricky oder die Beastie Boys wollen die Platte noch einmal remixen – offenbar wird „Rising“ als Projekt verstanden, an das jüngere Generationen gerne anknüpfen wollen. Die Geschichte der Fluxus-Künstlerin bildet den Grundstock für eine Mischung aus Retro-Musik und abstrakten Beats.

Trotzdem ist das Material von „Rising“ eher untypisch für Yoko Ono. Statt „Starpeace“ zu besingen, schreit sie sich jetzt in „Warzone“ die Lunge aus dem Leib. „Weißt du, ich finde, wir sollten weiter versuchen, den ,Sternenfrieden‘ zu finden“, schwächt sie den depressiven Charakter des Liedes ab, „aber gleichzeitig könnten wir ebensogut ,zur Hölle fahren‘. Deshalb singe ich eben: ,Where Do We Go From Here‘. Nach all dem, was in den letzten Jahren passiert ist, können wir auch zugrunde gehen.“

Der Traum von „Give Peace A Chance“ ist also vorüber. Die Neunziger sorgen für Ernüchterung, und die Friedensbewegung hat seit dem Ende des Kalten Krieges stark an Bedeutung eingebüßt. „Ich denke, das hängt von uns ab. Ich glaube immer noch, daß wir alle zusammenhalten können. Das ist es, was ich meine, wenn ich in ,Rising‘ singe: ,We will rise together‘. Anstatt auf unseren Nachbarn böse zu sein, sollten wir die Zusammenhänge verstehen, und daß es die Ignoranz und die Idiotie unserer eigenen Rasse sind, die uns zu diesem Punkt geführt haben. Ärger ist eigentlich ein sehr progressives Gefühl. Wir sollten ihn dazu nutzen, uns an den Händen zu nehmen und zusammenzuhalten.“

Für diese Art, Liebe zu zeigen, hatte die Kritik indessen wenig übrig – die ständigen Verrisse nagten an ihrem Selbstbewußtsein. Erst mit dem Erscheinen des 1980er- Albums „Double Fantasy“ konnte sich Yoko an die Spitze der Charts setzten. Doch der Verdacht, daß das wohl eher der Popularität ihres Mannes zu verdanken war, ist berechtigt – die Hälfte der Lieder war ja auch von Lennon. Andererseits feiern Musiker wie Björk, Courtney Love und die B-52's heute mit der Art von Musik Erfolge, für die Yoko Ono jahrelang belächelt wurde. Sie nimmt's gelassen: „Immer, wenn jemand etwas Neues macht und die Leute noch nicht dafür bereit sind, ist es auch unpopulär. Wenn sie es dann allmählich verstehen, gibt es immer Leute, die das bereits Gewesene ein wenig ausschmücken. Ich finde es toll, daß sie heute damit Erfolg haben. Ich gratuliere ihnen und segne sie.“

Die eigenen Epigonen nimmt die Sängerin mit Gelassenheit, nur die Vergangenheit bleibt heikel. Früher hat sich Yoko Ono geweigert, über „John Lennon“ oder „Beatles“ zu sprechen. Und auch jetzt wehrt sie sich, wenn man sie nach „Free As A Bird“ und der virtuellen „Beatles“-Reunion befragt. Die Antwort jedenfalls fällt kühl und knapp aus: „Ich finde, daß sie es wirklich gut hingekriegt haben.“ Aber wäre John wirklich mit den zusammengemischten Homerecordings und aufgeblasenen Arrangements von Jeff Lynne und Paul McC. einverstanden gewesen? Ein wenig kommt sie dann doch aus dem Schneckenhaus hervor und erklärt überraschend: „Nein, glaube ich nicht! Viele Fans haben nach der Veröffentlichung von ,Free As A Bird‘ gefragt: ,Wie konnte Yoko das tun? Weiß sie nicht, daß John das nie wollte?‘ Sie haben John zitiert, daß er so etwas nicht zugelassen hätte. Die Fans haben absolut recht: Vermutlich wäre John dagegen gewesen. Ich bin deshalb in mich gegangen und habe lange überlegt, ob ich es machen soll oder nicht. Nun, ich habe mich dafür entschieden. Das ist alles.“ Ein wenig Buddhismus wird dennoch mit in ihre Entscheidung hineingespielt haben, als sie den drei Rest-Beatles die Lennon- Tapes gab: „Ich fühlte, daß es etwas ist, das größer ist als wir alle. Es sollte passieren, und es ist großartig. Man sollte sich nicht gegen das Schicksal wehren.“

3.6. Berlin, 5.6. Hamburg

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