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Wellen mit Beifallssucht

■ Die „Silberlocken“ spielen wieder. Heute bei den 3. Bremer Alten-Theater-Tagen

Die Silberlocken? Sind das diese etwas betagteren Damen, die mit ihrem Theater durch Bremen tingeln und mit ihrem „Schamballett“ im Unterkleid Furore machten? Die waren doch schon mal in Schmidt's Mitternachts-Show. Ach ja, und vor zwei Jahren, als die ersten Bremer Altentheater-Tage zu scheitern drohten, da haben die Silberlocken am lautesten dagegen protestiert. Da hat sich damals selbst die Kulturbehörde kleinklopfen lassen und noch irgendwo ein Töpfchen aufgemacht. Gut gegeben, Silberlocken. Inzwischen machen Bremens „Alte“ bereits zum dritten Mal geballt Theater: Von heute bis Samstag stehen in der Kulturwerkstatt Westend die Knitterfreien, die Kratzbürsten, die Herbst-Zeitlosen, die tollen Ollen auf der Bühne. Die Silberlocken setzten sich gestern schon mal zusammen an einen Tisch, um mit der taz über das Alter und das Theater zu reden: „Das gibt ja PR.“

Die Silberlocken: Sieben Damen (zwei fehlten gestern), eigentlich nur eine silbrig gelockt, die anderen tragen ihr Haar bunt oder kurz. Sieben wache Augenpaare blicken neugierig durch rote, blaue und Regenbogen-Brillengestelle in den Raum. Weitsichtig sind sie alle mit den Jahren geworden, „aber alt sind wir nicht!“ – „Wir sind beifallssüchtig.“

Selma Hartwig (70, verwitwet) spielt Theater, weil sie das schon in der Schule getan hat. Die Tochter hatte damals, 1989, von der VHS-Idee in der Zeitung gelesen und sie hingeschickt. „Ich will halt wissen, was noch so in mir steckt“, sagt Selma. Sechs Silberlocken nicken ihr zu und Selma meint: „Es macht schon fröhlich, irgendwo.“

Das reizt die Damen. Und das biete auch nicht der Turnverein, sagt Emmi Paukenhaider. Fünfzehn Jahre suchte sie nach etwas, „was man nicht machen darf, weil man so gut erzogen ist.“ Emmi ist 76, zwar verheiratet, lebt aber allein. „Bei uns kommen nämlich ganz extreme Sachen raus.“

Das ist das Stichwort für ein Hallo und Kichern in der Runde, für die Erinnerung an die flotte Revue „Tempo 60“. Ja, und daran, wie Gerda – „sie ist leider schon gestorben“ – bei Schmidt's im Lederdress auftrat. Das Extreme ist außerdem das Stichwort für Marga Sürstedt. Die Frau für die Männerrollen. Marga Sürstedt, 76, mimt auf der Bühne gern den Lebemann und klopft den Damen dabei auf den Hintern. „Ich wär ja gern noch mehr politisch“, sagt die Frau, die 1980 an einem Tag Witwe und arbeitsunfähig geworden ist. Sie habe noch versucht, weiterzuturnen, ging dann zum Seniorenschutzbund (da sei es aber auch so steif). „Hier hab ich mich vom Alleinsein befreit, das freut auch die Kinder.“ Sie steckt sich eine Zigarette an.

Gitta Krüger raucht auch. Sie ist die jüngste Silberlocke, 51, und chronisch rheumakrank. „Man hat da ja ziemliche Tiefs, hier kann ich Power reinbringen.“ Von Schmerzen vergessen, bewältigen und damit umgehen spricht Rita Ratjen (57), eine Leidensgenossin. Und schwärmt sogleich von dem tollen Kursaal in Wiesbaden und dem riesen Feedback der Rheuma-Liga auf ihr Theater. „Keck wären wir gewesen. Körpersprache, innere Bewegung, Humor – alles hätten wir geboten!“

Die Silberlocken scheuen eben nicht das Rampenlicht. In der letzten Revue erzählten sie noch selbst aus ihrem (Nach-)Kriegsleben. Die neue heißt „Acht, die auszogen, das Leben zu suchen“. – Neue Schicksalsläufe wurden da erfunden: „Ich zum Beispiel“, ruft Gitta, „bin eine Frau, die alles verscheuert und im Ausland eine Boutique aufmacht.“ – „Ich eine versoffene Gräfin, ich kann halt nun mal gut angeben“ (Emmi). „Das sagt ihr doch immer.“

Und schon gibt eine Lachschote die andere. Ingrid Klenke-Weiß (59) jedoch sitzt eher still dabei und meint, daß sie sich mit der Kreativität noch ein bißchen schwer tue, „ich war ja mein Leben lang Sekretärin“. Aber man wisse doch, daß man auch in Krisenzeiten immer auf die Locken zählen könne, trösten die anderen. „Was, du willst in eine Altentheatergruppe???“ wurde Christa Zimmer am Anfang gefragt, da war sie gerade 50. „Genau. Hier gibt es Trauer, Frust und Wut und ganz viel Quatsch. Hier kann ich getrost älter und älter und älter werden.“ sip

Um 15 Uhr spielen die Silberlocken bei den 3. Alten-Theater-Tagen, Kulturwerkstatt Westend, Waller Heerstr. 294/Hst. Waller Friedhof. Eintritt frei. Weitere Termine s. Veranstaltungskalender

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