: „Krieg gibt Energie“
Nach dem 0:3 gegen Portugal wissen die Kroaten noch nicht, wie sie sich zu ihrem Team verhalten sollen ■ Aus Split Erich Rathfelder
„Ob Niederlage oder Sieg, mich interessiert der Fußball nicht an erster Stelle.“ Der 22jährige Mirko wohnt in der dalmatinischen Küstenstadt Trogir. Im Herbst letzten Jahres von der Armee demobilisiert, brennt er darauf, für sich selbst etwas zu tun. Vier Jahre seines Lebens habe er Kroatien gegeben, sagt er, jetzt sei das genug. Seine Ausbildung als Elektronikfachmann habe er damals aufgegeben, wieder an die Zeit vor dem Krieg anzuknüpfen fällt ihm schwer. „Die Firma ist ja auch pleite gegangen.“ Er wolle in ein normales Leben zurückfinden, er wolle Geld verdienen und mit seiner Freundin ausgehen können, doch Arbeit gibt es nicht. „Die Fahnen und dieses ganze Staatsgetue“ könne er nicht mehr sehen.
Und doch bleibt er vor dem Fernsehapparat stehen, der in einem der vielen Cafés auf den kleinen Plätzen der mittelalterlichen Stadt aufgebaut ist. Ein paar Leute sitzen herum, denn es spielt die kroatische Mannschaft gegen Portugal. Nach dem 0:1 gehen schon einige der Zuschauer weg. Und auch Mirko will weiter. Die Überheblichkeit des Trainers Miroslav Blasevic, sieben Ersatzleute aufzubieten, fuchst ihn. Aber er lacht. „Das ist eben unsere Mentalität. Wenn wir uns anstrengen müssen, wenn wir kämpfen müssen, dann tun wir das. Sonst nicht.“ In einem besser gefüllten Café dröhnt Rockmusik. Die jungen Leute hier interessieren sich nicht für das Spiel.
Von einer nationalistischen Welle der Begeisterung ist in Dalmatien nichts zu spüren. Trotz der Erfolge des Spitzenvereins Hajduk Split, der 1995 erst im Viertelfinale der Champions League gescheitert war, sind hier andere Sportarten noch populärer. Die Basketballplätze in fast allen kleinen Dörfern verraten es. Nur wenige Kinder trainieren mit dem Fußball.
Das Spiel gegen Portugal ist erst mal 0:3 verlorengegangen. Und Deutschland wird der nächste Gegner sein. In einem Café in der Nähe des Hafens sind die Arbeiter erbost und enttäuscht. „Die verdienen da einen Haufen Geld und strengen sich nicht an“, sagt einer, „die sollen endlich mal etwas für Kroatien tun.“
Die Stimmung wird kritisch. Sie selbst hätten den Kopf hingehalten, als es darum ging, das Land gegen die Aggression zu verteidigen, „und die leben im Ausland in Saus und Braus“. Haben manche der Spieler nicht auch Geld für die Armee gespendet? „Das ist ja das Wenigste. Ihr Leben haben sie nicht riskiert. Und wir hier verdienen nur ein paar Kuna.“
Im Fernsehen wird wieder einmal die Nationalhymne gespielt. Die Abendnachrichten bringen wie üblich das Tageswerk des Präsidenten Franjo Tudjman an erster Stelle. Noch ist der Präsident nicht nach England gefahren, um wie Helmut Kohl seine Kicker zu unterstützen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, daß er im Gegensatz zum deutschen Kanzler mit seinen Fußballern Ärger hatte. Als der Präsident zum Ende der Saison dem neuen kroatischen Fußballmeister Croatia Zagreb zum Titel gratulieren wollte, pfiffen die Zuschauer ihn aus. Und die Anhänger des Vereins skandierten „Dinamo“, den ursprünglichen Namen des auf Betreiben Tudjmans umbenannten Sportclubs. „Wenn es Freiheit und Demokratie gegeben hätte, dann gäbe es Dinamo und nicht Croatia“, riefen die Fans. Tudjman wurde blaß. Und die Fernsehkameras vermieden tunlichst einen Schwenk über das Publikum. Der Slogan ist als Graffito im Stadtzentrum Zagrebs zu bewundern.
Vor dem Krieg schlugen sich die Fußballfans aus Belgrad und Zagreb, aus Split und Sarajevo. Das war bitterer Ernst. Die Hooligans von Roter Stern Belgrad waren 1991 vom berüchtigten Milizenführer Arkan rekrutiert worden und gehörten zu den schlimmsten Schlächtern des Krieges. Doch das ist Vergangenheit. „Die Fans haben ihre Ideologie nicht gewechselt wie das Hemd, wie Tudjman“, sagt Mirko. Und er erinnert daran, daß Tudjman als General der jugoslawischen Volksarmee Ende der fünfziger Jahre Präsident von Partizan Belgrad war.
Nein, es gibt keine übermäßig nationalistische Welle in Kroatien. In Italien oder England schwappt da schon eher die Begeisterung über. „Wir zeigen aber, daß es uns gibt.“ Und: Es habe ihn schon stolz gemacht, wie der kroatische Stürmer Suker den Ball über den dänischen Torhüter schlenzte und den Weltklassemann wie einen Anfänger aussehen ließ. „Da war eben ein Kick drin“, sagt Ivica und schnalzt mit der Zunge. Der 40jährige Elektriker hat früher selbst einmal Fußball gespielt. „Das ist nicht so ein Hauruck-Fußball, das ist Kunst, das gefällt mir.“ Nicht umsonst seien Spieler wie Prosniecki, Suker, Bilic und Boban Profis in Italien, Spanien und England. Überhaupt, es sei schon fantastisch, daß „wir als kleines Land mit fünf Millionen Einwohnern so viele Spitzensportler, Männer und Frauen, haben – im Wasserball, bei den Handballern, im Basketball, Tennis und anderswo“. Selbst Mirko schmunzelt. „Der Sieg im Krieg gibt eben Energie. Einen Kick eben.“ Doch persönlich weiß er nicht, wie er diese Energie für ein neues Leben nutzen kann.
Portugal: Baia - Couto, Secretario, Helder, Dimas - Sousa (70. Tavares), Oceano, Figo, Rui Costa (61. Barbosa) - Joao Pinto, Ricardo Sa Pinto (46. Domingos)
Zuschauer: 20.000
Tore: 0:1 Figo (4.), 0:2 Joao Pinto (33.), 0:3 Domingos (82.)
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