: Abgang eines Patriarchen
Griechenlands Sozialisten müssen sich auf ihrem Parteitag ohne ihren Übervater streiten: Am Wochenende ist Andreas Papandreou gestorben ■ Von Niels Kadritzke
Dem letzten Auftrag hat er sich verweigert. In drei Tagen, beim Parteikongreß der Pasok, sollte Andreas Papandreou noch einmal ein Machtwort sprechen. Seit sich Ministerpräsident Kostas Simitis und sein Stellvertreter Akis Tsochatsopoulos ganz offen um das politische Erbe Papandreous streiten, steht für die Regierungspartei eine schwere Zerreißprobe an. Der Appell des Parteigründers an die Delegierten sollte eine drohende Parteispaltung verhindern.
Doch der Patriarch war schon zu schwach, um sich noch einmal aufzuraffen. Vielleicht spürte er auch, daß die konkurrierenden Parteigruppen ihn nur noch für ihre eigenen Ambitionen ausbeuten wollten. Dieser Zumutung hat sich Papandreou durch seinen Tod entzogen. Sein Auftritt hätte der Parteibasis ohnehin nur vorgeführt, daß die Zeit charismatischer Führer auch in Griechenland unwiderruflich vorüber ist.
Dennoch werden jetzt die Diadochen den Mythos Andreas weiter benutzen, um eine orientierungslose Parteibasis hinter sich zu bringen. Damit werden die Schwächen des Politikers Papandreou in der Erinnerung verblassen. Und die Härten des Alltags, die auch ein Resultat der Papandreou-Ära sind, werden sein Bild zur Ikone verklären.
Der Leichenzug am Mittwoch wird eine große Volksversammlung werden, die an das Begräbnis des „alten Papandreou“ am 3. November 1968 erinnert. Damals war es die größte Demonstration in der Ära der griechischen Militärdiktatur. Hunderttausende folgten dem Sarg von Giorgos Papandreou, dem Führer der liberalen Zentrumsunion. Dessen drohender Sieg in den für Mai 1967 angesetzten Wahlen hatte den Militärputsch in Athen überhaupt erst ausgelöst. Als er starb, organisierte sein Sohn bereits den Widerstand gegen die Junta außerhalb Griechenlands. In diese Doppelrolle, als Erbe einer politischen Dynastie und als populistischer Kämpfer für die Demokratie, ist Andreas zeit seines Lebens eingespannt geblieben. Zeit seines Lebens ist er Opfer dieses Widerspruchs geblieben.
Brillante akademische Karriere in den USA
Dabei wollte Andreas Papandreou gar nicht in die Politik. Er war bereits 1940 aus Griechenland emigriert, nachdem er während der Metaxas-Diktatur als „Trotzkist“ im Gefängnis gesessen hatte. In den USA machte er eine brillante akademische Karriere. Er wurde amerikanischer Staatsbürger, heiratete eine Amerikanerin, trat eine Professor in Berkeley an. Erst 1959 kehrte er nach Griechenland zurück. 1960 bot ihm der damaligen Ministerpräsident Karamanlis die Leitung eines Instituts für Wirtschaftsforschung an, für dessen Aufbau der junge Papandreou Gelder von der Rockefeller- und der Ford-Stiftung besorgte. Auch jetzt noch wollte sich Andreas aus der Politik heraushalten. Doch als sein Vater 1963 die Wahlen gewann und Ministerpräsident wurde, war es um die akademische Unschuld des Sohnes geschehen. Er ließ sich ins Kabinett berufen und begann, innerhalb der Zentrumsunion einen linken Flügel zu organisieren.
1965 entdeckte er seine charismatischen Fähigkeiten. Als „Wendepunkt“ seiner Karriere erlebte er die Wahlkampagne in Thessalien, wo ihn begeisterte Menschenmengen als künftigen Retter feierten. Seitdem sah vor allem das provinzielle Griechenland in Andreas den radikalen Reformpolitiker zugunsten der kleinen Leute, die von der traditionellen Bourgeoisie stets mißachtet und übersehen worden waren. Das machte ihn zum Buhmann der Rechten, die Griechenland bis 1963 wie einen unveräußerlichen Familienbesitz regiert hatte. Der junge Papandreou war denn auch der wichtigste Grund, warum die Regierung seines Vaters 1965 vom jungen König Konstantin mit verfassungswidrigen Intrigen zum Rücktritt gedrängt wurde. Insbesondere der Königshof und die hinter ihm stehenden Kräfte sahen durch Andreas ihre langfristigen Interessen gefährdet. Die Obristen kamen mit ihrem Putsch vom April 1967 einem neuen Wahlsieg der Zentrumsunion zuvor, der Andreas über kurz oder lang zum politischen Erben seines Vaters gemacht hätte.
Mit der Gründung der Widerstandsorganisation PAK im schwedischen Exil hat sich Andreas Papandreou ein bleibendes Verdienst um die Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland erworben. Aber der ehrgeizige Politiker wollte mehr. Nachdem die Junta sich im Sommer 1974 mit ihrem Zypern-Abenteuer selbst gestürzt hatte, organisierte er die PAK zur „Panhellenischen Sozialistischen Bewegung“ Pasok um. Mit dieser neuen politischen Kraft, die bewußt die traditionelle Parteipolitik der alten Zentrumsunion überwinden sollte, wollte er die Macht im nachdiktatorischen Griechenland erobern.
Im Oktober 1981 übernahm die Pasok nach einem erdrutschartigen Wahlsieg die Regierung, ihr unbestrittener Führer Papandreou wurde Ministerpräsident. Das blieb er auch nach dem zweiten Wahlsieg von 1985. Doch seine zweite Amtszeit nahm ein schmähliches Ende, als die Regierungspartei 1989 in den Strudel des Koskotas-Skandales geriet. Zwar hat sich Papandreou in dieser Affäre nicht persönlich bereichert. Aber die Nummer 2 der Partei – sein Vertrauter Koutsojorgas – hatte sich Schmiergelder in Millionenhöhe auf ein Schweizer Bankkonto überweisen lassen. Vielen idealistischen Pasok-Wählern war es der letzte Beleg dafür, daß auch ihre Partei die politische Kultur des Landes, die durch Günstlingswirtschaft und Korruption gekennzeichnet ist, nicht entscheidend verändert hatte. Nachdem die Pasok dem Volk den großen Wandel („Allagi“) versprochen hatte, fiel sie jetzt selbst dem Ruf nach Säuberung („Katharsis“) zum Opfer, der 1991 auch nur die mindestens ebenso korrupte konservative Nea Dimokratia an die Macht zurückbrachte.
Der politische Abstieg Papandreous stürzte ihn auch in eine persönliche Krise. 1988, als der Koskotas-Skandal in voller Blüte stand, mußte sich Andreas in London am Herzen operieren lassen: Nur ein dreifacher Bypass konnte sein Leben verlängern. Er nutzte die geschenkte Zeit, um sich zwei Wünsche zu erfüllen. Er ließ sich von seiner Frau Margarita scheiden und heiratete seine Geliebte Dimitra Liani (genannt „Mimi“). Und er arbeitete an seinem politischen Comeback. Daß ihn ausgerechnet Kostas Mitsotakis als Vorsitzender der konservativen Nea Dimokratia aus dem Amt gedrängt hatte, konnte Papandreou nicht verwinden. Mitsotakis war ein Erbfeind der Familie, der 1965 zum Scheitern von Giorgos Papandreou beigetragen hatte. 1993 glückte die Revanche. Die Nea Dimokratia wurde abgewählt, Mitsotakis mußte einer neuen Pasok- Regierung unter Papandreou weichen.
Jede gesundheitliche Krise lähmte die Regierung
Viele Beobachter meinen, es wäre der richtige Zeitpunkt zum Rücktritt gewesen. Im Alter von 74 Jahren und keineswegs rüstig war Papandreou nur noch schattenhafter Statthalter seines eigenen Mythos. Jede gesundheitliche Krise des Ministerpräsidenten lähmte die Regierung. Daß der Alte zu autoritär, zu stolz, zu uneinsichtig und zu abhängig von den Machtambitionen seiner neuen Gattin war, ließ ihn im hohen Alter einen guten Teil seines Rufes verspielen, den er durch politischen Leistungen erworben hatte.
„Die Friedhöfe sind voll von Menschen, die sich für unentbehrlich hielten“, hat ein kluger Zeitgenosse gesagt. Die Tragik des alten Andreas bestand darin, daß ihm seine Unentbehrlichkeit ständig von einer Gefolgschaft suggeriert wurde, die es nur am „Hofe Papandreou“ zu etwas bringen konnte. Das verweist zugleich auf ein zentrales demokratisches Defizit, das der Parteiführer selbst zu verantworten hatte. In seiner engeren Umgebung duldete er keine unabhängigen Köpfe. Wer ihm intellektuell ebenbürtig zu werden drohte, wurde als Konkurrent wahrgenommen, war als Nachfolgekandidat automatisch aus dem Rennen. Mit diesem Führungsstil konnte sich die Pasok trotz ihrer politischen Programmatik, die sie als zahme Sozialdemokratie ausweist, nicht zu einer demokratischen Partei entwickeln. Daß sie bis heute eine populistische, nach autoritärer Führung dürstende Bewegung ist, gilt als verhängnisvolle Hinterlassenschaft.
Die Mischung aus Volkstribun und Realpolitiker, die Papandreou seinem großen liberalen Vorgänger Eleftheros Venizelos so ähnlich machte, prägt auch die Bilanz seiner politischen Leistungen: Die großen populistischen Versprechen, die ihm die Wahlsiege von 1981 und 1985 einbrachten, konnte er nie halten. Und seine größten Erfolge verdankte er einem wachen realpolitischen Verstand, der seine Rhetorik immer wieder korrigierte. So ist aus dem vehementen EG-Gegner mit der Zeit ein pragmatischer Europäer geworden, der es zudem verstand, seiner ländlichen Klientel klarzumachen, daß sie die Gelder aus Brüssel nicht etwa der EG, sondern ihrem Andreas zu verdanken hatte. Noch akrobatischer war die Wende in seiner Politik gegenüber den USA: Trotz seiner antiamerikanischen Rhetorik verfiel Papandreou am Ende seiner Laufbahn noch einmal der Illusion, das EU-Mitglied Griechenland könnte sich Washington als Instrument einer europaskeptischen amerikanischen Balkanpolitik andienen.
Nach Papandreou: Chance zur Reform der Pasok
Papandreous Außenpolitik war in dem Maße erfolgreich, in dem er seine Demagogik dementierte. Innenpolitisch leiteten die Pasok-Regierungen gesellschaftliche Modernisierungsschritte ein, die auch die griechische Rechte nicht mehr rückgängig machen konnte. Minimale Rechte der Rentner und der ärmsten Arbeiterschichten wurden gesichert, die Rechte der Frauen wurden entschieden verbessert, die politische Spaltung der Gesellschaft durch die traumatisch Erfahrung des Bürgerkrieges 1945–1949 wurde überwunden. Andere Reformen blieben freilich unvollendet, weil das Hauptproblem der griechischen Gesellschaft ungelöst blieb. Auf die Frage, wie der Staat seine Bürger zu minimaler Steuerehrlichkeit erziehen oder zwingen kann, hat auch die Pasok bis heute keine Antwort gefunden.
Mit der Nach-Papandreou-Ära ist die Chance gekommen, die Pasok zu einer Sozialdemokratie mitteleuropäischen Zuschnitts zu reformieren. Für diese Perspektive steht heute Kostas Simitis, der den todkranken Andreas im Januar als Regierungschef beerbte. Auf dem Parteikongreß wird sich jedoch erst zeigen müssen, wie die Parteibasis mit dem Phantomschmerz des verstorbenen großen Führers umgeht. Und wie schnell sie kapiert, daß der Mythos Papandreou vielleicht Trost spenden, aber keine Wahlen mehr gewinnen kann.
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