: Der Traum vom besseren Leben
Frauen gehören nicht zur neuen schwarzen Elite in Südafrika. Immerhin besetzen sie im Parlament mehr als ein Viertel der Sitze. Doch die meisten schwarzen Frauen sind extrem arm, ohne Bildung und leben auf dem Land ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler
Albertina Luthuli* hat Glück gehabt. Ein bißchen zumindest. Seit drei Jahren hat die 47jährige einen guten Job in einem Kindergarten in Johannesburg, der von dem amerikanischen Computerkonzern Otis betrieben wird. Dort wird sie zwar nicht sonderlich gut bezahlt, bekommt aber Sozialleistungen, von denen andere südafrikanische Frauen nur träumen können. Die Firma zahlt für sie in eine Rentenkasse ein, und sie und ihre sechs Kinder sind jeden Monat gegen einen nur geringen Betrag krankenversichert.
Albertina Luthulis Biographie ist typisch. Der Vater verschwand, als sie noch klein war, die Mutter blieb mit neun Kindern allein zurück. Von der Apartheid-Regierung wurden sie aus Johannesburg in ein Homeland umgesiedelt, auf dem flachen Land im Norden Südafrikas. Die Schulbildung war miserabel, doch Albertina und ihre Geschwister lernten zumindest lesen und schreiben. Später ging sie zurück nach Johannesburg, nachdem sämtliche Väter ihrer Kinder sie sitzenlassen hatten.
Die Kinder blieben im Homeland bei der Großmutter, während Albertina versuchte, die Familie mit Gelegenheitsjobs durchzubringen. „Das Geld reichte nie, ich weiß oft selber nicht, wie wir es geschafft haben, nicht zu verhungern“, sagt sie. Und auch heute ist das Geld noch sehr knapp. 800 Rand (etwa 320 Mark) bleiben von ihrem Monatsgehalt übrig, und damit muß immer noch die halbe Familie unterstützt werden. Heute lebt Albertina Luthuli mit ihrem jüngsten Sohn in einem sogenannten Cottage auf dem Grundstück einer weißen Familie. Dort war sie jahrelang als Hausangestellte tätig, ehe sie den Job bei Otis fand. In dem winzigen Häuschen auf dem Grundstück durfte sie wohnen bleiben, als Gegenleistung putzt sie immer noch mal das Haus und hütet die Kinder.
Albertinas größter Wunsch ist, ein eigenes Haus oder eine Wohnung zu haben, aber davon läßt sich weiterhin nur träumen. Um mehr Geld zu verdienen, müßte sie eine formelle Qualifizierung als Kindergärtnerin haben. Deshalb geht sie zweimal in der Woche zu einer Abendschule und versucht mühsam, Montessori-Pädagogik zu lernen. Daß sie die Prüfung tatsächlich besteht, ist eher unwahrscheinlich. Allzu kompliziert sind Satzbau und philosophische Grundlagen, die dort verlangt werden. „Also wird alles so bleiben, wie es ist“, seufzt sie und lacht dabei etwas hilflos. „Ich habe immer noch großes Glück.“ Bei der Frage nach Männern in ihrem Leben lacht sie lauter. „Sieh dir doch die südafrikanischen Männer an: Die tun nichts im Haushalt, trinken und huren. Da bleibe ich lieber allein, das habe ich alles hinter mir.“
So wie Albertina Luthuli leben Hunderttausende von Frauen in den großen Städten Südafrikas. Auch wenn sich die neue Regierung unter Präsident Nelson Mandela die Emanzipation der Frau groß auf ihre Fahnen geheftet hat, hat sich im realen Leben der meisten Frauen bisher nur wenig geändert. Daß sich Südafrika „die fortschrittlichste Verfassung der Welt“ (siehe unten) gegeben hat, ist vom durchschnittlichen Alltag weit entfernt. Zwar entstand in den vergangenen beiden Jahren eine neue schwarze Elite, die gut bezahlte Jobs in Regierung und Verwaltung und in der Industrie fand, Frauen in Führungspositionen sind dabei aber immer noch eine große Ausnahme.
Gemessen an anderen afrikanischen Ländern, können sich die Quoten trotzdem durchaus sehen lassen. 103 der insgesamt 400 Abgeordneten im neuen gemischtrassigen Parlament sind Frauen. Erstmals in der Geschichte des Landes ist mit Frene Ginwala (ANC) auch eine Frau Parlamentspräsidentin, und die Zahl der Ministerinnen ist gegenüber Apartheid-Zeiten stark angestiegen. Alle Schlüsselressorts mit Ausnahme des Wohnungsbaus sind jedoch auch in Südafrika mit Männern besetzt, auch wenn Nelson Mandela bei seiner letzten Kabinettsumbildung mehr Frauen als Stellvertreterinnen berief. In den Provinzen sieht es schon nicht mehr so gut aus: Keine einzige Frau regiert eine der neun neuen Provinzen, und obwohl Frauen 51 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind nur 18,5 Prozent der neugewählten BürgermeisterInnen Frauen.
Liegen die Zahlen im öffentliche Sektor vergleichsweise hoch, sind Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft immer noch eine absolute Seltenheit. Zwar hat der ANC aus den USA die Idee von „affirmative action“ übernommen. Sie hat zum Ziel, bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie Schwarze und Frauen zu fördern. Die Auswahl an gut ausgebildeten und qualifizierten Frauen ist in der Praxis aber nach wie vor gering. Die offizielle Arbeitslosenstatistik in Südafrika liegt immer noch bei über 40 Prozent, und Frauen sind überdurchschnittlich hoch betroffen. Die meisten schwarzen Südafrikaner sind nicht in der Lage, eine Zeitung zu lesen, war das alarmierende Ergebnis der ersten nationalen Studie über den Bildungsstand der Bevölkerung im Mai vergangenen Jahres. Besonders schlecht ausgebildet sind der Studie zufolge Kinder aus kinderreichen Familien – und Frauen.
Auch wenn sich in den großen Städten die Lebensformen etwas liberalisieren, lebt mehr als die Hälfte aller schwarzen Frauen in Südafrika auf dem Land – weit weg von größeren Ortschaften, meist ohne Wasser, Strom und jegliche Chance, ihren Bildungsstand zu verbessern. Sie sind für Kinder und Haus zuständig, die Männer arbeiten in den großen Minen und Bergwerken und kommen nur ein- oder zweimal im Jahr nach Hause.
Doch auch in den Städten ist das Ansehen von Frauen nicht sonderlich hoch. Während Männer häufig wieder heiraten, ist das bei Frauen nicht geduldet. Die Zahl der Vergewaltigungen schnellt im neuen Südafrika ebenso in die Höhe wie die allgemeine Gewaltstatistik. Durchschnittlich alle 15 Minuten wird in den Townships eine Frau vergewaltigt, und das sind nur die bekannten Fälle. Auch wenn der ANC es sich zum Ziel gesetzt hat, eine nicht sexistische und emanzipierte Gesellschaft aufzubauen, ist Südafrika davon noch weit entfernt.
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