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War es eine Bombe?

■ Technisches Versagen verursachte offenbar nicht den Flugzeugabsturz vor New York. Experten suchen weiter

New York (AP/wps/dpa) – „Flugzeuge explodieren einfach nicht auf diese Weise.“ Michael Barr, Luftverkehrsexperte der Universität von Südkalifornien, hält wie viele seiner Kollegen einen Anschlag für die plausibelste Erklärung des Absturzes des TWA-Jumbos vor New York, bei dem am Mittwoch abend insgesamt 230 Menschen in den Tod gerissen wurden. Der Vizechef der Nationalen Transport- und Sicherheitsbehörde (NTSB), Robert Francis, nennt drei denkbare Gründe, warum ein Flugzeug dieses Typs in der Luft explodieren kann: eine Kollision, ein „extremer Triebwerkschaden“ oder eine Bombe. Gegen die erste Möglichkeit spricht, daß kein anderes Flugzeug in der Nähe war. Gegen Möglichkeit zwei spricht, daß technische Probleme der Bordbesatzung aufgefallen wären, aber die Aufzeichnungen des Dialogs zwischen Kontrollturm und Piloten keinerlei Hinweise darauf enthalten. Vielmehr kam der Absturz völlig unerwartet: Kein Flugzeuginsasse trug eine Schwimmweste.

Gegen die dritte Möglichkeit einer Explosion im Flugzeug spricht dagegen nichts, außer daß es noch keine konkreten Beweise gibt. Wie ein Puzzle werden nun die kleinsten Schraubensplitter zusammengesetzt, Trümmerteile unter dem Mikroskop untersucht und geborgene Gepäckstücke und Leichen auf chemische Rückstände untersucht. „Eine Bombenexplosion hinterläßt üblicherweise eine Menge Material“, erläuterte der Sprengstoffexperte James Crippen. Bei einer Bombenexplosion schießen kleinste Trümmerstücke durch das Flugzeug, dringen in weiche Materialien wie Gepäckstücke oder Sitze ein und lassen ein ganz bestimmtes Muster kleiner Löcher mit Metallrändern zurück. Dieses Muster unterscheidet sich nach Angaben der Experten deutlich von den Schäden, die ein technisches Versagen anrichtet.

Bei dem Absturz der Pan-Am- Maschine 1988 über Lockerbie hatten die Ermittler eine Woche gebraucht, um herauszufinden, daß eine von Terroristen eingeschmuggelte Bombe an Bord explodiert war. Der entscheidende Hinweis wurde schließlich in Bruchstücken aus dem Frachtraum entdeckt, die Rückstände von Plastiksprengstoff aufwiesen. Diesmal haben es die Ermittler aber schwerer als damals, weil die Maschine über dem Meer und nicht über dem Festland abgestürzt ist. Außerdem sind die Überreste des Absturzes über eine Fläche von 1.600 Quadratkilometer verstreut.

Hinweise auf den Verlauf des Absturzes erhofft man sich vom Flugschreiber, nach dem noch gesucht wird. Nach Angaben von CNN hat das US-Verteidigungsministerium inzwischen ausgeschlossen, daß eine schultergestützte Rakete von einem Boot auf die Maschine abgefeuert wurde. Darüber war spekuliert worden, nachdem Augenzeugen von Leuchtstreifen am Nachthimmel vor der Explosion berichtet hatten. Die US-Regierung wies ebenfalls Berichte zurück, es habe Warnungen vor einem Anschlag gegeben.

Nach Angaben der Behörden sind bis gestern morgen (Ortszeit) rund 140 Leichen geborgen worden. Die 230 Todesopfer wurden inzwischen identifiziert. Nach einer von TWA in Paris veröffentlichten Liste sind unter ihnen auch eine deutsche Frau und der Berliner Modefotograf Sigfried Puhlmann-Rico.

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