: Der Wahlkampf beginnt blutig
17 Jahre nach der Revolution bieten Nicaraguas Sandinisten wieder eine Alternative. Aber sie haben sich gründlich verändert ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Die 41jährige Magda Lucia Flores steuerte ihren Toyota am vergangenen Freitag offenbar absichtlich in eine Gruppe von Radfahrern, die zum Festakt anläßlich des 17. Jahrestages der sandinistischen Revolution unterwegs waren. Vier der Opfer starben, zehn weitere erlitten schwere Verletzungen. Magda Flores erklärte später im Verhör, sie sei geisteskrank.
Die Feierlichkeiten zum 19. Juli, traditionell ein Gradmesser für den Zustand der sandinistischen Bewegung, waren diesmal gleichzeitig Auftakt zum Wahlkampf der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) und wurden daher von Freunden und Feinden des Sandinismus mit gleicher Spannung verfolgt. Daß der ehemalige Revolutionsplatz – von der konservativen Regierung Violeta Chamorros in Platz der Republik umbenannt – sich in ein Meer von rotschwarzen Fahnen verwandelte, wie vor 17 Jahren, als die unrasierten Guerilleros nach der Flucht des Diktators Somoza in Managua einzogen, dürfte den siegessicheren Liberalen zu denken geben.
Trotz Wahlschlappe, Korruptionsskandalen und der Abspaltung eines reformistischen Flügels unter dem ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramirez ist die FSLN die stärkste organisierte Kraft Nicaraguas geblieben. Mit ihrer machtvollen Demonstration vom Freitag stellen sie sich nach langer Agonie als ernsthafte Alternative für die Wahlen am 20. Oktober vor.
Expräsident Daniel Ortega, zum dritten Mal Kandidat für die Präsidentschaft, hat sein Image gründlich verändert. Im weißen Hemd tritt er wie ein evangelischer Prediger auf, begleitet von der Ehefrau, der jüngsten Tochter Camila und Beethovens Hymne an die Freude. In einer seiner kürzesten Ansprachen streckte er die Hand der Versöhnung nach allen Seiten aus, zu den Parteidissidenten ebenso wie zu den ehemaligen Contra-Kämpfern, deren Partei wegen heilloser interner Zwistigkeiten zum Gespött des Landes geworden ist. Den Feind, dessen Rückkehr man um jeden Preis verhindern müsse, sieht er nur in der „liberalen somozistischen Diktatur“. Nicht ausdrücklich genannter Protagonist dieser Gefahr ist Arnoldo Alemán, der die offene Sympathie der rechtsextremen Exilszene im US-amerikanischen Miami genießt und während seiner fünf Jahre als Bürgermeister von Managua in allen Landesteilen seine Liberal-Konstitutionalistische Partei organisierte.
Sechs Jahre nach dem Ende der sandinistischen Revolutionsdekade ist Nicaragua genauso polarisiert wie während des Kalten Krieges. Das Land teilt sich in jene, die noch in den Sandinisten die Schuldigen für die Verelendung und steigende Arbeitslosigkeit sehen, und die anderen, die in der neoliberalen Politik und flagranten Korruption der Regierung Chamorro die Ursachen der Krise ausmachen. Fast alle Nicaraguaner erinnern sich heute schwärmerisch an die Vergangenheit: die einen an die sandinistische, die anderen an die unter Diktator Somoza. Für die Wahlen ergibt sich ein Duell zwischen Ortega und Alemán.
Allen jenen, die 1990 wegen des Militärdienstes, Lebensmittelrationierung und politischer Willkür gegen den Sandinismus gestimmt hatten, versicherte Ortega, die Zeiten hätten sich geändert. als Garantie für Unternehmer und Großgrundbesitzer hat die Partei den Viehzüchter Juan Manuel Caldera als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft gewählt. Vor elf Jahren selbst Opfer einer willkürlichen Enteignung, sehe er jetzt in der FSLN die einzige Partei mit einem Programm für die Landwirtschaft.
In Umfragen hat Alemán an Sympathie verloren, während Ortega deutlich zugelegt hat. Die Entscheidung in einer fast unvermeidlichen Stichwahl werden die zwei Dutzend Kleinparteien haben, von denen derzeit keine über der Zwei-Prozent-Grenze liegt.
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