Flirt auf hoher See

■ Die taz auf kleiner Fahrt / Mit der „Hanseat“ auf der Weser

„Klar erzählen wir Ihnen auf der Hafenrundfahrt was über den Hafen“, strahlt der Seebär. Sein Haar ist vom Wind zerzaust, das Gesicht sonnengebräunt. In den Augen blitzt der Schalk: „Wir erzählen Ihnen zwar nur was auf deutsch, aber dafür können Sie das sogar auf Klo hören.“ Der Mann, dessen unwiderstehlicher Raimund-Harmstorf-Charme eine wirkungsvolle Attacke auf die Standfestigkeit weiblicher Knie ist, hält was er verspricht – zumindest was die Führung durch den stadtbremischen Hafen betrifft. Schon wenige Minuten, nachdem die „Hanseat“ vom Martini-Anleger zu einer Rundfahrt durch den stadtbremischen Hafen in See gestochen ist, ertönt die sonore Stimme des Kapitäns und erfüllt vermutlich selbst den kleinsten Winkel des Schiffes: „Links sehen Sie die Firma Beck's. Da wird Bier gebraut und in 180 Länder der Erde exportiert. Beck's Bier gibt es übrigens auch bei uns an Bord.“

Eine ältere Dame stülpt ihrem etwa zehnjährigen Enkel eine Matrosen-Mütze mit rotem Bommel über den Kopf. Die Mützen gibt es für fünf Mark das Stück einen Stock tiefer an der Bar. „Oh, Oma, ich will auch ne' Mütze – aber bitte in blau“, ruft ein Mann, der es sich einige Meter von dem Enkel entfernt auf den brauen Holzbänken des Sonnendecks bequem gemacht hat. Die Frau schenkt dem Fremden einen abschätzigen Blick und zückt die Risch-Rasch-Klick-Kamera, um ihren Enkel fürs Familienalbum zu verewigen.

„Rechts Sehen Sie das Gelände der AG Weser. Die Werft mußte 1983 leider wegen Auftragsmangel dichtmachen. Nur der große blaue Kran ist übriggeblieben, den sehen Sie da. Das Grundstück wird jetzt saniert. Dann soll hier ein Space-Park entstehen. Das ist so etwas ähnliches wie Disney-Land. 1998 soll es losgehen“, tönt die Stimme. Breitbeinig steht ein Mann mitten auf dem Sonnendeck und schwenkt seine Videokamera, die er fest mit beiden Händen umklammert, über das Gelände der ehemaligen AG Weser-Werft. „Das ist die Firma Kellogs. Kellogs verarbeitet am Tag 350 Tonnen Rohgetreide, das sind 1,5 Millionen Kartons Cornflakes. Die Firma hat 850 Mitarbeiter.“ Die Videokamera des Breitbeinigen summt kaum hörbar mit.

Zeit für ein Gläschen Sekt an der Bar unter Deck. Der Raimund-Harmstorf-Verschnitt eilt die Treppe hinauf. Er nimmt zwei Stufen auf einmal. „Wie schnell fahren wir eigentlich?“ Zugegeben, ein etwas zaghafter Versuch, einen Seebären zu bremsen. „Zwölf Knoten“, antwortet er wie aus der Pistole geschossen. „Na, junge Frau, wieviel Stundenkilometer sind denn das?“ „Äh, also...“ Verdammt. Warum müssen sich solche Bildungslücken eigentlich immer in den ungünstigsten Momenten offenbaren? „Die Knoten mal zwei nehmen und zehn Prozent abziehen“, lacht der Seebär und entwindet aufs Deck.

Doch der Sekt schmeckt auch alleine, günstig ist er außerdem (6,80 Mark der Piccolo). Die Preise der übrigen Getränke bieten auch keinen Grund zum Meckern: Kännchen Kaffee 3,80 Mark, der Becher Kakao für 2,20 schmeckt wie mit Milch aufgebrüht. „Das Klöckner Stahlwerk produziert 10.000 Tonnen Stahl täglich“, erreicht die Stimme des Kapitäns die Gäste auch in Bar und im Restaurant. Die Wände und Möbel im Schiffsbauch sind in Mahagoni-Imitat gehalten, abgerundet durch rosafarbene Tischdecken und Gardinen. „Klöckner hat die schnellste Walzanlage der Welt. Die könnten sogar noch mehr Stahl produzieren, aber die anderen Stahlwerke müssen ja auch was tun“, erklärt der Kapitän weiter. Ob der Videofilmer an Deck auch die Stahlwerke festhält? Tatsächlich. Er steht noch immer breitbeinig an Deck, hält seine Kamera mit beiden Händen und filmt. „Das was Sie da hinten sehen, ist Plastik-Müll. Das ist das, was Sie zuhause in die gelben Säcke tun. Von hier aus wird das nach Korea verschifft und dort zu Grandulat verarbeitet. Später kommt es dann zu uns zurück, in Form von Plastik-Gartenmöbeln oder Spielzeug.“

„Schiffe, Schiffe, da sind Schiffe“, schreit ein kleines Mädchen plötzlich. „Eins, zwei, drei, vier, fünf“, zählt sie im Chor mit ihrem Bruder. „Das sind Schlepper“,dröhnt die Stimme des Kapitäns durchs Mikrophon. „Die haben 2.000 bis 3.000 PS und können zwei Seeschiffe schleppen.“ Ein Stückchen weiter liegen dann tatsächlich zwei Seeschiffe an der Kaje. „Die Alexandria liefert gerade Baumwolle aus Ägypten an“, weiß der Kapitän. Der Videofilmer lehnt sich mit seiner Kamera weit über Reling. „Wir haben hier auch eine ganz neue Kaje bekommen“, erläutert der Kapitän weiter. „30.000 Mark kostet der laufende Meter. Aber das muß man auch schon ausgeben, wenn man im Geschäft bleiben will.“ Die „Hanseat“ dreht und macht sich auf den Heimweg. Der Kapitän verstummt. Der Videofilmer ist enttäuscht. „Nur zwei Schiffe. Hier ist ja nichts los im Hafen“, nuschelt er vor sich hin und packt die Videokamera ein. Von den 75 Minuten Fahrzeit hat der Kapitän etwa 20 Minuten geredet. Er hat sich viel Mühe gegeben, aber mehr gibt es einfach nicht zu sehen.

Den Rest der Fahrt dösen die Passagiere in der Sonne. Eine Frau nutzt die Zeit, um ihrer Tochter einen Mitesser hinterm Ohr auszudrücken. „Halt still“, mahnt sie den Teenager, der mit dem Oberkörper gebeugt über ihrem Schoß liegt.

Kurz darauf macht die „Hanseat“ wieder am Martini-Anleger fest. Von der Sonne müde geworden, verlassen die Passagiere das Schiff – ohne Begeisterung in den Gesichtern. Auch die Chronistin hatte sich mehr erhofft. Doch als sie sich noch einmal umdreht, steht der Seebär an der Gangway - und zwinkert. Kerstin Schneider

Hafenrundfahrten: Bis Oktober, täglich 11.45 Uhr , 13.30 Uhr, und um 15.15 Uhr