: Blut in Atlanta
■ Vom Sterben des vergnügten Stabhochspringerleins Karlo Mückhart - Der Olympia-Fortsetzungskrimi
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Karlo Mückhart lief der Schweiß aus den langen, schwarzen Haaren auf den Glasfiberstab. Mückhart trainierte im Olympiastadion von Atlanta. Nur für sich. Zum Spaß. Einst hatte er einen Stabhochsprungrekord gehalten. Jetzt hielt er sein sonnengegerbtes Gesicht in eine Kamera. So sich eine fand. Fand sich ja immer eine. Hehe, er mußte beim Absprung an sein Kingsize-Bett denken. Freunde nannten ihn „Kater Karlo“! Mückharts Körper hing noch wie ein gespannter Bogen am Stab, als sein leicht schleimiges Grinsen gefror.
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Scheiße! Mückhart hatte sein Trainingsziel erreicht, soeben schwebte er über die Neun-Meter- Marke, aber: Die verdammte Matte war weg: die schöne, weiche Matte, in die er nach seinem Rekordversuch ... Kurz bevor sein Stabhochspringerleben in einem dumpfen Aufprall endete, nahm Mückhart eine männliche Gestalt am Boden wahr, die ihm applaudierte. Warum trug der Kerl einen Badeanzug?
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Mückhart zuckte auf dem Boden, der ihm rauh entgegengekommen war. Niemand klatschte. Blutverschleiert sah die Welt nun aus. Ein Sportlerleben, dessen Ereignislosigkeit sich in einem Halbsatz zusammenfassen läßt, zog an seinem inneren Auge vorbei. Ihm war ganz feierlich zumute. Dann sah er Eppels Mondgesicht. Eppel von der Bundeswehrfördergruppe. Im schreiend bunten Air-blade-Badeanzug. „Man lebt nur einmal“, höhnte Eppel.
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Eppels finale Bemerkung erreichte Mückhart nicht mehr. So blieb ihm auch der Anblick schlanker Frauengestalten erspart, die nun lachend verschwanden. Ihre schwarzweißen Trainingsanzüge kontrastierten eindrucksvoll zur Sonne, die blutrot hinter dem Coca-Cola-Museum unterging. Eppel zog die Perücke herunter, den Air- blade-Anzug aus, und ihre volle braune Lockenmähne ergoß sich im leichten Abendwind von Georgia über ihr kleines Schwarzes.
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Die Atlanta Crime Squad traf erst mit 23 1/2 Stunden Verspätung am Tatort ein. Dankenswerterweise hatte der Ordnungsdienst der Deutschen Gesellschaft für Stabhochsprung (GESTABO) das Gelände weiträumig abgesperrt. Lt. Marsh Mellow drehte mühsam das bereits von Leichenstarre befallene Handgelenk Karlo Mückharts um. Kein Zweifel: Auf der Innenseite war deutlich lesbar ein scharlachrotes „A“ eingeritzt.
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Lt. Marsh Mellow vermutet Mord und starrte auf das „A“ in der Hand des Athleten, die den Hochsprungstab leichenstarrsinnig nicht loslassen wollte. A wie: Arschloch, Atlanta, Anarchie. Anna vielleicht, denn der Name war Mode im fernen Deutschland. Vielleicht auch Anabolika. Marsh Mellow ging ins „Outta Control“, einen wilden Schuppen am Rande der Stadt. Dort hoffte er mehr zu erfahren.
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An der schummrigen Bar saß Schütze Klees, der erste deutsche Goldmedaillengewinner und ernsthaft betrunken. „Dreißichtausen.. und.. zuweimal hab ich geballert“, gröhlte Klees, „die letzten zwölöff Monadde!“ Normal waren aber nur 30.000. Marsh Mellows Gehirn machte ratta-ratta-klick wie ein im Getriebe eierndes Zahnrad. Lautlos näherte er sich Klees, doch plötzlich umklammerte eine Hand aus Eisen Mellows Arm.
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Die eiserne Hand auf Mellows Arm gehörte einem Izzy-Roboter. Diese Metallversionen des Olympia-Maskottchens rollten rudelweise durch die Gegend und verteilten gute Ratschläge. „Gehen Sie zu Aufzug 5. Ich wiederhole, Aufzug 5“, schnarrte es. „Mein Gott“, japste Mellow. „A wie Aufzug! Los, the Games must go on.“ Er vergaß den lallenden Klees und lief zu den Aufzügen. Entschlossen drückte er den Knopf von Nummer 5.
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Im Aufzug ratterte es Lt. Mellow durch den Agentenschädel: Anna, Anabolika, Atlanta, Arschloch ... Plötzlich stutzte er: Antonio?! Hm. 5.Etage. Verwundert schaute sich Mellow in der Lobby um: samtene Läufer, ein scharlachrotes Kanapee, an den Wänden Olympionikinnen im goldenen Barockrahmen: Annegret Richter, Andrea Pollack, Anja Fichtel u.a. Allesamt in reizender Siegerpose. Plötzlich öffnete sich eine Tür. „Sie wünschen?“
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Verwirrt starrte Lt. Mellow die herausgeputzte Dame an. Tunte, altes Mädchen oder aus dem Rahmen gefallene Olympionikin? „Ich suche dieses verdammte A...“, entfuhr es ihm. „Da sind Sie hier goldrichtig!“ antwortete sein schräges Gegenüber und führte ihn durch die gepolsterte Tür: hohe Vitrinen, dicke Gobelins, ausladende Möbel, sechs knallrote Staubsauger... Eine Stimme aus dem Off störte Mellows Inspektion: „You arr lookink forrr me?“
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Mellow schob sein whiskeyverwittertes Hirn an. Natürlich. Die Stimme samt rollendem R kannte er. In den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich der Vorhang bewegte. Mellow riß ihn herunter: kein R – aber ein mobiles Chemielabor stand vor ihm. Da krachte die Tür hinter Mellow zu. Eiskalt drehte er sich um. Vor ihm standen fünf Synchronschwimmerinnen. Und eine sah – trotz dicker Schminke – der knarrenden Stimme verdammt ähnlich.
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Es war Eppel. Die braune Lockenmähne, der Trainingsanzug. Mellow hatte sich jede Kleinigkeit schon im Stadion eingeprägt. Lächelnd kam sie auf ihn zu, ohne die Hantel zu sehen, die aus acht Metern Höhe heruntersauste. Er wollte sie warnen, doch in sein atemloses „Vorsicht, A...!“ stieß ein spitzer Schrei, der in den Ohren klirrte wie Fledermausbellen: „Kchiiee!“ Für eine Zehntelsekunde schien Atlanta zu vibrieren.
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„Der Akazienholzstab“, schrie Eppel noch, bevor die Hantel sie traf und das Hirn über die dicken Gobelins spritzte. „Das ist also das verdammte A“, dachte Mellow, während er angewidert auf die blutige Unordnung auf dem Boden starrte. Dann faltete er sich in seinen Jaguar und raste zum Polizeipräsidium, wo Mückharts Hochsprungstab noch in der Asservatenkammer lag. Unter dem Griffband entdeckte Mellow ein Gewinde.
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„Mistding“, fluchte Mellow, als er den Hochsprungstab aufschraubte. Heraus fielen ein Foto, eine Filmdose und ein Zettel, auf dem stand: „Horny Motel, Atlanta: Mister S. feiert mit einem bulgarischen Gewichtheber.“ Der Heber auf dem Foto war Mellow unbekannt, aber S. kannte er. „Scheiße“, dachte er, „den hat in Strapsen und mit wasserstoffblonder Perücke noch niemand gesehen. Und was die da treiben, ist keine olympische Disziplin.“
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S. spielte die Reiterin, der Bulgare das Pferd. Klar, daß die Fotos verschwinden sollten. Doch warum das Versteck im Sprungstab? Der FBI-Zentralrechner brachte keinen Clue. Bevor Mellow seinen Eckzahn in die Tischkante schlug, klingelte es: Sam Space, CNN-Reporter und Ex-Rodeoreiter war dran. „Eppel und S.?“ witzelte er. „Ihr Reiter ist der Neffe.“
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In 20 Minuten war Space da, nach weiteren fünf wußte Mellow alles: Eppel hatte IOC-Präsidentin werden wollen und etwas mit S., dann mit dessen Neffen angefangen. Mückhart liebte Eppel seit ihrer Zeit bei der Bundeswehr. Daß S. sich sexuelle Gefälligkeiten dicker Gewichtheber mit anabolen Steroiden erkaufte, hatte er schnell heraus. Das kompromittierende Foto war sein Testament geworden. Eppel wollte das Foto, aber Mückhart nicht mehr. S. mußte die Rivalin loswerden. Für den Neffen war Blut dicker als Wasser. Mellow schüttelte angewidert den Kopf. Dann erschoß er Space, wie zuvor den verdammten Neffen. Er wählte die Nummer. „Gut gemacht, Atlanta“, hörte er S. krächzen. Seit wann heiße ich Atlanta, dachte Mellow noch.
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