Zu krasses Urteil

■ Zweieinhalb Jahre wegen Kratzern im Lack: Staatsanwaltschaft legt Berufung ein

Gegen das umstrittene Urteil von Amtsrichter Ronald Schill hat gestern die Hamburger Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Schill hatte am Freitag eine 45jährige, psychisch labile Frau zu einer Freiheitstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, weil sie den Lack von zehn Autos zerkratzt haben soll (taz berichtete). Auch die Anklagevertreterin hielt die Frau der Sachbeschädigung für schuldig, hatte jedoch eine Bewährungsstrafe von nur zehn Monaten gefordert. Eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Der Rechtsanwalt der Angeklagten hatte angekündigt, Berufung gegen das „drastische Urteil“ einzulegen. Doch selbst die Anklagebehörde erkannte einen „zu krassen Unterschied“ zwischen der Forderung der Staatsanwaltschaft und der von Schill verhängten Strafe, zumal die Frau in psychotherapeutischer Behandlung gewesen war.

Ein Polizeibeamter hatte zudem während der Verhandlung ausgesagt, daß die Angeklagte erhebliche Alkoholprobleme habe. Die Staatsanwältin hatte dies in ihrem Plädoyer als strafmildernd bewertet; der Richter meinte hingegen, keine Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit erkennen zu können. Ob in der Beweisaufnahme der Berufungsverhandlung ein Gutachter gehört wird, war gestern nicht zu erfahren.

Renommierte Strafverteidiger haben das Schill-Urteil als „völlig überzogen“ kritisiert. In der Berufungsverhandlung bestehen gute Chancen für ein milderes Urteil, meint der Vorsitzende der Strafverteidigervereinigung, Otmar Kury. Der 37jährige Schill wurde einmal bereits von einem Anwalt wegen Rechtsbeugung angezeigt. Und vor einem Jahr hatte er im Gerichtssaal eine asservierte Waffe auf einen Refrendar gerichtet, um ihn zum Plädoyer aufzufordern. „Ein Scherz“, soll Schill anschließend erklärt haben. Stefanie Winter