: Vom „grünen Urgestein“ entfernt
■ betr.: „Keine Mehrheit für ,Neuen quote‘“, taz vom 21. 10. 96
Es ist bereits vier Jahre her, seit bei den Verhandlungen zwischen AL und B'90 die „grünen Urgesteine“ besprochen und umschifft wurden. Die Rotation sei eine urgrüne Angelegenheit und schon aus diesem Grund weder aufzuweichen noch zu kippen, so die AL-Verhandlungskommission damals. Wie richtig sie gelegen hat, zeigten Beschlüsse der AL-Delegiertenkonferenz von April 1993, die eine Änderung der Rotation auf zwei Legislaturperioden ablehnte und damit die Fusion B'90/ Grüne wieder in Frage stellte.
Die Bürgerbewegten (schon damals in Personalnot) hatten eine moderatere Regelung vorgeschlagen, die nach langem Hin und Her dann doch mit dem Acht-Jahres- Rhythmus beschlossen wurde.
Aber schon ein halbes Jahr vor den Abgeordnetenhauswahlen 1995 wurden die Verfechter einer „harten Rotation“ schwach, was unter anderem daran lag, daß die Erinnerung einsetzte und ins Bewußtsein rückte, daß man nach den Wahlen vielleicht fernab der Landespolitik sein politisches Dasein werde fristen müssen. So wurden schnell Formelkompromisse gezimmert, die den zur Rotation Anstehenden den Rettungsring verpaßten. Daß die vormals vehement geforderte Rotation ausgehebelt auf der Strecke blieb, schien keine/n mehr zu interessieren.
Wie sehr die Bündnisgrünen heute vom „grünen Urgestein“ entfernt sind, zeigen einmal mehr die LDK-Beschlüsse vom Wochenende, die eine Einführung des Korrektivs „Neuenqoute“ ablehnten. Die Lehren aus den KandidatInnenwahlen des Jahres 1995 zu ziehen, die auf den ersten 18 Plätzen nur vier „Neue“ registrierten, was übrigens nur der Ost-/Frauenquote geschuldet ist, konnte/wollte die Landespartei nicht leisten. Zu sehr stecken auch die Bündnisgrünen im eigenen Parteienfilz. Macht und Einfluß wollen verteidigt sein, Geld und Vorteile ebenfalls. Wer heute diese Umstände noch bestreitet, ist entweder naiv oder blind. Wie sagte doch ein AL-Verhandler nach der KandidatInnennominierung 1995: „Hier ging es weder um Inhalte noch um Strömungszugehörigkeit – hier ging es um 7.600 Mark.“
[...] Im Falle eines Falles werden für die von der „Rotation“ Betroffenen neue „Lex“-Regelungen erfunden, die natürlich (wegen fehlender Alternativen) die Zustimmung jeder Versammlung finden werden. Verheerend wird sich das Signal aber nach außen auswirken:
Erstens ist an dieser Stelle vor allem für BündnissympathisantInnen abzulesen, wann und unter welchen Umständen bündnisgrüne Satzungsbestimmungen Anwendung finden. Zweitens werden motivierte Seiteneinsteiger und „Neue“ verprellt. Keinem politisch engagierten Freizeitpolitiker kann es so verdacht werden, sich dort einzusortieren, wo sie/er für sich eine realistische Chance sieht. Und dafür stehen die Bündnisgrünen – trotz aller Bekundungen – kaum noch zur Verfügung.
Nutznießer der Abkoppelung von basisdemokratischen Tugenden bei B'90/Grünen wird erneut die politische Kraft in Berlin, die für Aktivisten im außerparlamentarischen Bereich Ohren und Listenplätze hat: die PDS. Niemand der bündnisgrünen Parteimitglieder sollte sich also wundern, wenn Power und Action demnächst woanders stattfinden. [...] Thomas Kreutzer,
Ex-GA B'90 Berlin, Mitgl.
Verhandl.kommission B'90
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