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Klang-Saccharide

■ Musikhalle: Schubert, gesüßt von Zukerman, Ashkenazy und Harrell

Ein Kurzlehrgang im Genießen des musikalisch Süßen fand am Dienstag abend in der Musikhalle statt. Die zwei Klaviertrios von Franz Schubert standen auf dem Programm. Gerade Schubert hat vom Süßen ja reiche Auswahl im Keller.

Auch in der Musik gibt es Industriezucker. Fürs Gemüt ist er so schlecht wie der wirkliche fürs Blut. Die Schubertsche Fruchtsüße von 1827 ist freilich feiner noch als die eines Chateaux d'Yquem von 1926.

Cellist Lynn Harrell kennt offenbar den Punkt genau, an dem – süßeseitig – der Geschmack in Gefühl umschlägt. Wie er den Cellogesang im Andante des Es-Dur-Trios op. 100 überm Trauermarschtakt schweben läßt – zum Schmatzen.

Geiger Pinkas Zukerman, Vladimir Ashkenazy und Lynn Harrell stehen sonst als Solisten und Dirigenten auf der Bühne. Stimmung und Abstimmung ihres Gelegenheitstrios waren an diesem Abend nichtsdestrotrotz optimal. Selbst der mit jedem Konzert lustlos-pomadiger wirkende Zukerman ließ sich mitreißen. Die treibende Kraft war Harrell, an Körpervolumen den anderen, besonders Ashkenazy, so überlegen wie im Ton, den er angab, zart oder gestaut, gewitzt oder wütend. Im brahmsnahen Anfangsgesang des Andante im B-Dur-Trio op. 99 nach der Pause eher entrückt.

In die Abteilung Natursüße mit wunderbarem Säurespiel gehört das Wunder von Seitenthema im Kopfsatz von op. 100, daß dank Schuberts Abneigung gegen Sonatensatzordnung und zum Entzücken seiner Liebhaber die ganze Durchführung dominiert und auch noch den Satzschluß versüßt.

Opulent klang dieser Schubert, gut in Saft und Farbe, gut auch in der Entschiedenheit, mit der die Herren die volksmusikgetriebene Kraft dieser Trios musizierten, in denen Schubert sich, endlich frei vom kompositorischen Seitenblick auf Beethoven, ins Eigene durchschlug. Am Anfang war Harrells Blondschopf gemittelscheitelt. Am Ende hing ihm das Haar tief über die Augen.

Stefan Siegert

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