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Die Hoffnung auf den Beitritt zur Europäischen Union als Katalysator für die Lösung des Konflikts

■ Wirtschaftlich ist eine Aufnahme Zyperns in die EU kein Problem – die Stolpersteine birgt die Politik. Die EU will sich nicht noch einen Krisenherd leisten

Europa ist weit weg. Bis zur griechischen Insel Rhodos beträgt die Entfernung von Zypern rund 380 Kilometer – nach Syrien sind's dagegen nur rund 100 Kilometer. Europa ist ganz nah. Die griechischen Zyprioten erhoffen geradezu inbrünstig ihre Aufnahme in die EU. Sechs Monate nach Beendigung der EU-Regierungskonferenz, also voraussichtlich 1997/98, sollen die Beitrittsverhandlungen beginnen. Zypern steht zusammen mit Malta als nächstes auf der Kandidatenliste.

Ginge es nach den Wirtschaftsdaten, dann dürfte die Integration der Insel überhaupt kein Problem sein. Die Republik Zypern hält selbst die strengen Maastricht-Kriterien spielend ein. Die Inflationsrate liegt bei nur 2,6 Prozent. Die öffentliche Neuverschuldung bewegt sich bei milden 2,6 Prozent und die Gesamtverschuldung bei 53,2 Prozent des Bruttosozialprodukts und damit deutlich unter dem Maastricht-Kriterien von drei bzw. 60 Prozent – da kommt nur noch Luxemburg mit. Die langfristigen Zinsen allerdings sind derzeit nicht vergleichbar, denn noch ist das zypriotische Pfund nicht frei konvertierbar. Doch der Chef der Zentralbank, Afxentiou, verspricht, daß alle Restriktionen schon bald abgebaut sein werden. „Europa wird bis zum Nahen Osten reichen und Zypern ein Fenster dorthin sein“, wirbt er im Gespräch mit der taz für eine EU-Integration.

Tatsächlich ist die Insel schon heute Handelsdrehscheibe zwischen dem Nahen Osten und Europa. Viele Firmen haben hier Niederlassungen errichtet, weil Transport und Telekommunikation hervorragend ausgebaut und die Lebensverhältnisse europäischer sind als etwa in Griechenland oder gar der Türkei.

Ob Zypern einmal Netto-Zahler oder Netto-Nehmer in der EU sein wird, hält Afxentiou noch nicht für ausgemacht. Denn anders als das marode Griechenland, anders aber auch als die EU-Kernstaaten, bietet Zyperns Wirtschaft Traumdaten: Welcher Gewerkschafter würde sich nicht eine Arbeitslosenquote von ganzen 2,6 Prozent wünschen? Und von aktuell 4,7 Prozent Wirtschaftswachstum? Dabei beträgt das Pro-Kopf- Einkommen rund 12.500 US-Dollar pro Jahr, mehr als in Griechenland und Portugal. So spräche nichts gegen eine Mitgliedschaft des Zwergs Zypern – wenn da nicht die politischen Verhältnisse wären. Der Wunsch der Republik, in den europäischen Klub einzusteigen, ist nicht allein ökonomisch begründet. Mindestens ebenso groß sind die Hoffnungen, daß eine EU-Integration eine Wiedervereinigung mit dem türkisch besetzten Teil beschleunigen möge. „Schon heute hilft das für eine Lösung des Konflikts“, meint Regierungssprecher Cassoulides.

In Brüssel wünscht man sich freilich nichts sehnlicher, als daß der Konflikt möglichst schon vor einem Beitritt gelöst ist. Andererseits besteht offiziell kein Junktim zwischen EU-Integration und Konfliktlösung – in der Tat müßten die Zyprioten möglicherweise sonst für die starre Haltung der Türkei büßen. Denn dort wie im besetzten Norden Zyperns lehnt man eine EU-Mitgliedschaft der Insel strikt ab. Der zyperntürkische Führer Rauf Denktaș orakelte jüngst bei einem Besuch in Bonn gar von drohender Kriegsgefahr. Seine EU-Gegnerschaft ist verständlich, gilt in der Europäischen Union doch das Recht auf freie Niederlassung und Arbeitsaufnahme – Rechte, die er den griechischen Zyprioten in seiner nicht anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ verweigert.

Dort verdient der Durchschnittsbürger rund viermal weniger als im griechischen Süden. Die darniederliegende Wirtschaft könnte gewaltig von den EU- Strukturfondsgeldern profitieren – wenn eine EU-Integration denn auch politisch gewollt wäre. Sollte es im Zypernkonflikt in den nächsten Jahren keinen Durchbruch geben – wofür einiges spricht –, dann, so die Vorstellungen, soll die Republik zunächst ohne den besetzten Teil Mitglied werden.

Doch es gibt Widerstände in Straßburg wie Brüssel: Noch einen politischen Krisenherd innerhalb der Gemeinschaft könne sich Europa nicht leisten, mahnen die Kritiker. So könnte die EU-Integration der Insel noch auf die lange Bank geschoben werden – mehr als die zypriotische Wirtschaft entscheiden die Politiker in Ankara über Zyperns Zukunft.

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