■ Leben
: Nach dem Box-Abend schmerzt die Nase

Hannover (taz) – Das nennt man Einfühlungsvermögen. Empathie! Kuckt sich einer leibhaftig eine doppelt gemoppelte Box-WM an, und am nächsten Morgen tut ihm die Nase weh, als ob Michalczewski oder Rocchigiani ihm eine draufgebaunzt hätte. Ist es wirklich so gefährlich, zum Boxen zu gehen? Scheint so. Aber – unter uns Pastorentöchtern – welche Freizeitbeschäftigung kann nicht sogar tödlich enden?

Es ist erst der zweite Kampfabend meines Lebens. Das und das Boxen haben viel miteinander gemeinsam, hört man immer wieder. „Ruhich, ganz ruhich. Et läuft.“ (Manfred Wolke) Und heute?

Die einwandfrei rüttelndste Hymne beim Einzug in die Arena wählt einmal mehr Ralf Rocchigiani. „Hell's Bells“ von AC/DC, weit besser als das kalkuliert komponierte Zeugs, was Maske jedesmal vorführte, damit er eine CD mehr verkaufen kann. Henry war nicht anwesend, aber voll da, als ein Zuschauer immer wieder den Namen blökte: „Henry, hau ihn um!“ Einen Lacher gab es dafür selbstverständlich auch.

Überhaupt die Zwischenrufe. Die einen skandierten „Rocky“, als Michalczewski in den Ring stieg, und eine andere Abteilung schimpfte auf den exklusiv übertragenden Fernsehsender („Scheiß premiere“), weil dessen Kameraleute die Sicht versperrten. Dergleichen Konfliktpotential ahnt der brave Mensch vor dem Bildschirm gar nicht.

Während der Pausen wogen Mädels durchs Geviert, die Schilder tragen, auf denen steht: „1 Hasseröder“ oder „2 Hasseröder“ usw. Wollen sie bestellen oder stehen die Biere zum Abholen bereit? Wenn es nicht doch Werbung sein sollte. Oder was ganz anderes? Die ganz Doofen im Publikum können sich nämlich das „Auszieh'n“-Gegröhle nicht verkneifen.

Sind Männer also doch die häßlicheren Menschen? Läßt man den Blick schweifen, wenn die Nationalhymne abgespult wird, könnte man auf den Gedanken kommen. Nicht etwa der mit dem Pferdeschwanz, nicht der mit dem Ohrring oder der mit dem Schnauzer singt mit, sondern die beiden, die aussehen wie du und ich. Oder eher wie ich, der natürlich sitzenbleibt und schweigt.

Etwas Anstrengenderes als Boxen scheint nicht zu existieren. Eine Runde ist sooo lang. Auch ohne hart getroffen zu sein, würde unsereins nach der ersten Runde erschöpft zusammenbrechen. Also doch wie im Leben? Drüber nachdenken, wenn der Schmerz nachläßt.Dietrich zur Nedden