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Sechs Kilo sind kein Kinderspiel

■ Morgen finden in Seevetal die Hamburger Matcharmbrust-Meisterschaften statt Von Tom Weihe

Etwas martialisch sehen sie schon aus. Mit ihren durch Linsen, Lämpchen und Wasserwaagen technisch hochgerüsteten und tausende Mark teuren Holz-, Karbon- oder Stahlarmbrüsten feuern sie hochkonzentriert 40 Stahlbolzen (Länge je nach Wettbewerb zwischen 15 und 45 Zentimetern) im halbdunklen Schießstand ab – Matcharmbrustschützen beim Wettkampf. In ihren festen und gut gepolsterten Kleidern haben sie mit dem bekanntesten Klischee – „Wie der Tell, gell?“ – offensichtlich noch weniger zu tun als mit dem nächstgeläufigen – „Ey Rambo!“. Nur wenige scheinen es zu wissen, denn Armbrustschießen ist eine Randsportart, vielleicht sogar eine besonders abseitige. Gerade einmal vier Dutzend Teilnehmer werden morgen in Seevetal (Appenstedter Weg) zu den Hamburger Meisterschaften im Matcharmbrustschießen auf die Zehn-Meter-Distanz erwartet.

Die meisten Starter kommen aus aus dem Gewehrlager, weiß Heiner Conrad, seit vier Jahren begeisterter Armbrustschütze: „Diese Disziplin ist eine Abwechslung.“ Und dennoch: „Eigentlich ist Matcharmbrust aber fast wie Luftgewehrschießen.“ Armbrust ist jedoch nicht gleich Armbrust. „Feldarmbrustschießen ist etwas ganz anderes – entspannter, abwechslungsreicher und fröhlicher.“ Das sagt, wen wundert's, eine Freiluftbegeisterte, und zwar die bekannteste norddeutsche Schützin: Sieglinde Wagner aus Meckelfeld, amtierende Weltmeisterin. Sozusagen die Mutter des Feldarmbrustsports in Deutschland. Was ist denn nun so anders? Nun: „Man schießt im Freien auf 30, 50 oder 65 Meter entfernte Scheiben.“ Das ist alles? „Natürlich nicht, man hat mit dem Wind zu kämpfen. Außerdem müssen die Bolzen genau im richtigen Moment abgeschossen werden – das ist entscheidend.“ Und eine reizvolle Herausforderung dazu. „Zwischen den Schußphasen geht man gemeinsam seine Bolzen einsammeln und unterhält sich meistens dabei.“

Der Beginn ihrer sportlichen Karriere war eher zufällig. Eigentlich hätte sie als Mittdreißigerin vor mehr als 15 Jahren mit ihrem Mann das Tennisspielen anfangen wollen, erzählt die hauptberufliche Pressesprecherin einer israelischen Firma. Nachdem er bei einem Unfall verletzt worden sei, habe man dann eben mal bei den Schützen vorbeigeschaut. „Ich traf von Beginn an überraschend gut. Aber Feuerwaffen mochte ich nicht so, das hat für mich etwas Verbissenes.“

Bogenschießen gefiel ihr da schon besser. Doch erst als sie die Armbrust kennenlernte, konnte sie Können und Vorliebe zusammenbringen. Für Wagner ist die Armbrust „die perfekte Kombination“, auch wenn Lästermäuler behaupten, sie sei nichts Richtiges, weder Bogen, noch Gewehr. Als Mitglied der deutschen Matcharmbrust-Nationalmannschaft hörte sie dann von der hierzulande unbekannten Feldarmbrust. Aus Interesse ließ sie sich 1984 für die Weltmeisterschaften aufstellen. Mit einer geliehenen Armbrust wurde sie aus dem Stand Zweite. Noch wichtiger: Sie hatte ihren Sport gefunden.

Aber auch wenn Armbrustschießen draußen schöner als drinnen ist – bleibt es nicht doch bloß Am-Abzug-Ziehen? „Überhaupt nicht“, sagt Wagner, „wir müssen uns körperlich und auch in puncto Konzentration fithalten, denn eine Sechs-Kilo-Armbrust dauernd zu halten, ist kein Kinderspiel. Jeder macht irgendwelche Ausdauersportarten, ich schwimme regelmäßig.“ Was die Konzentration betrifft: Auch Armbrustturniere werden im Kopf gewonnen. „Körperliche Fitness ist die Grundlage, aber ohne Autogenes Training oder Yoga kommt kaum jemand aus, manche spielen auch Billard oder Schach.“ Sich jedesmal wieder voll konzentrieren und seine Schüsse richtig einteilen zu müssen ist wohl das eigentlich Komplizierte beim Schießen – gleichzeitig aber auch das befriedigendste, wenn es hingehauen hat.

Trotz der notwendigen – inneren – Ruhe, geht es bei Turnieren nicht bierernst zu: „Böse Blicke für Geräusche und Bewegungen gibt's auch in der Halle immer weniger, bei der Feldarmbrust sowieso nicht.“ Zudem könnten höchstens schlechte Schützen kein anderes Geräusch als das Klacken der abgeschossenen Bolzen ertragen. „Die besseren lassen sich allenfalls durch Zigarettenqualm irritieren.“

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