Richtern fehlt das Verständnis

■ Ohne Etnologen stehen Ausländer vor Gericht oft schlechter da

Ob Freispruch oder lebenslang – diese Gerichtsentscheidung hängt manchmal am Detail. An der Antwort auf diese Frage zum Beispiel: Was ist eigentlich „sofort“?

Über die Antwort einer deutschen Richterin, die Minuten- oder Stundenspannen nennen würde, kann der orientalische Amtskollege vielleicht lachen, sagt dazu der Bremer Ethnologe am Übersee-Museum, Götz Mackensen. Dem orientalischen Angeklagten vor einem deutschen Gericht aber müßte darüber der Angstschweiß ausbrechen, so Mackensen vor der gestrigen Landespressekonferenz. Thema: Die Bedeutung ethnologischer Gutachten vor Gericht. Ein Ergebnis: Mit 30 ethnologischen Gutachten vor deutschen Gerichten in den letzten zehn Jahren wird der kulturelle Unterschied im Denken und Handeln Angeklagter zu wenig berücksichtigt. „Noch immer vertrauen deutsche Gerichte eher einem Mediziner oder einem Naturwissenschaftler ein Gutachten an – als einem Soziologen oder einem Ethnologen“, sagt auch die Bremer Richterin, Erika Segond. Für ausländische Angeklagte auch in der zweiten oder dritten Generation könne das deutliche Nachteile bringen.

Am Beispiel des orientalischen Angeklagten: Dem Mann wird vom deutschen Gericht statt Totschlag, der spontanes Durchknallen voraussetzt, der Mord vorgeworfen. Jahrelange Strafe wäre denkbar, wenn der tödliche Schuß auf den Landsmann beispielsweise erst fünf Tage nach dem erlittenen Angriff auf die Familienehre stattfindet. Aus Sicht des Ethnologen Mackensen, der auch als Gutachter vor Gericht auftritt, könnte das ein klassischer Fehler sein: Deutschlastig und wenig kulturkritisch. Denn erst bei Rückkehr in den Familienkreis wächst vielleicht der Druck auf den ausländischen Mann. Dann erst kommt es zum Knall – der immer noch ein Kurzschluß sein könnte, so Mackensen. Doch wo ein Deutscher eher Gnade findet, weil RichterInnen mit dessen Kurzschlußhandeln vertraut sind, werden ausländische Straftäter leicht unfair behandelt.

Den Grund dafür kennt auch Erika Segond: „Richtern fällt es oft schwer, sich in das fremde Denken hineinzuversetzen.“Es fehlt an banalen Voraussetzungen: An vertrauter Gestik und Mimik. Besonders kompliziert wird es, wenn der Angeklagte sich selbst über seine Handlungen nicht ganz klar ist – geschweige denn, sich ausdrücken kann. ede