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Stachelbart liegt vorn

Der unrasierte Ethan Ayer gewinnt mit seiner Cambridge-Crew das 143. Bootsrennen gegen Oxford  ■ Aus London Ronald Reng

Ein Glücksbringer mußte Pech haben. In jedem Ruderboot der Universitätsmannschaften von Oxford und Cambridge saß am Samstag einer, der glaubte, das Glück bei sich zu haben. Tim Foster, Oxfords Schlagmann, trug wie immer seine blaue Baseballkappe mit dem Emblem des Fußballklubs Tottenham Hotspur; Ethan Ayer, der Kapitän von Cambridges Achter, ruderte wie immer unrasiert. Fast dreiviertel des Rennens lagen sie gleichauf, dann stellte sich langsam, aber sicher heraus: Stachelbart hilft mehr als Baseballmütze. Mit zwei Bootslängen Vorsprung gewann Cambridge die 143. Auflage des legendären Bootsrennens auf der Londoner Themse.

„Es war ein exzellentes Rennen“, befand der vierfache Ruder- Olympiasieger Steven Redgrave, der als Ehrengast für das Medaillen-Umhängen zuständig war. „Exzellent zum Zuschauen“, schob er nach. Denn über den sportlichen Stellenwert des Universitätsvergleichs wurde wie jedes Jahr, wenn die Studenten sich zu Wasser messen, an Land vehement gestritten, und diesmal war es ausgerechnet Redgrave, der den Oberkritiker spielte. „Das Rennen ist ein Spektakel, ein Medien- Event, aber es ist nicht der Sport, den ich betreibe“, sagte er. „Das Bootsrennen hat mit Rudern so viel zu tun wie Go-Kart-Fahren mit Formel 1.“

Tatsächlich ist Oxford–Cambridge, das erstmals 1829 stattfand, längst mehr Gesellschaftsereignis als sportlicher Wettbewerb. Die Annahme, die Mehrzahl der vielen tausend Zuschauer an der Themse war eher am Bier als am Sieger interessiert, ist sicher nicht falsch. So betrachtet wirkt das Brimborium, das um 16 rudernde Studenten und ihre zwei Steuermänner gemacht wird, reichlich komisch.

Der Renntag war eine einzige Ansammlung von auf die Minute geplanten Ritualen. Um 14.45 Uhr wies der Oberschiedsrichter Cambridges Kapitän Ayer an, er möge für die Wahl um die Startaufstellung die Münze in die Luft werfen, und zwar so, daß sie auf den Boden falle. Zeitplangemäß um 15.24 Uhr zog die Mannschaft aus Oxford ihre schwarzen Gummistiefel aus. Um 15.31 Uhr streifte Cambridge die grünen Gummistiefel ab, und dann hieß es auch dieses Jahr wieder: „Oxford ready? Cambridge ready?“ Und dann ziehe normalerweise eine Crew schnell davon, lästerte Redgrave, das Rennen sei gelaufen, „und der Fernsehkommentator muß für die restliche Zeit irgend etwas anderes finden, worüber er redet, meistens über die erste Steuerfrau oder das Jahr, als ein Boot unterging“. Nicht so dieses Jahr, als Cambridge zwar zum fünften Mal in Folge gewann (und die Gesamtbilanz auf 74:68 Siege bei einem toten Rennen erhöhte), doch erstmals seit fünf Jahren bis ins Ziel von Oxford gefordert wurde.

Nach den vier vorangegangenen Niederlagen hatte Oxford vor diesem Semester dafür gesorgt, daß ein paar Studienplätze an erfahrene Ruderer gingen. Olympiateilnehmer Foster, im vergangenen Jahr Bronzemedaillengewinner in Atlanta, oder der Italiener Blanda wurden immatrikuliert, der Niederländer Rene Mijinders, der den holländischen Achter 1996 zu olympischem Gold führte, kam als Trainer. Damit war sichergestellt, daß es sportlich diesmal hochklassig zuging. Recht war das aber auch wieder nicht allen. Es gehe zu weit, wenn Studenten an der Uni eingeschleust würden, nur weil sie gut rudern könnten, empörten sich Eltern von anderen Studenten.

So versucht das traditionelle Bootsrennen 169 Jahre nach seinem Ursprung seinen Weg zu finden zwischen Tradition und Moderne, sportlichem Wettkampf und gesellschaftlichem Spektakel. Gescholten als ein „anachronistischer Schwachsinn“ (The Express) von den einen, gepriesen als „der letzte wahre Amteursport“ (The Times) von anderen; beachtet von allen. „Als ich gerade meine erste olympische Goldmedaille gewonnen hatte“, erzählt Redgrave, „fragte mich jemand, was ich machen würde. Als ich sagte, ich sei Ruderer, kam postwendend: „Oh, für wen rudern Sie – Oxford oder Cambridge?“

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