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Schlappe Raketen

■ „Erotik – Exotik“im Künstlerhaus zeigt fröhlichen Sex im Aids-Zeitalter

Die stärkste Ausstrahlung hat eine tief türkisfarbene Wand, an der ein riesenphallusähnlicher Gegenstand schläfrig in sich zusammengesunken ist. Mattgolden glänzend liegt es da, das „Soft Rocket“, und läßt die drei Raketenständer zu den Seiten fallen, als wären es zwei Füßchen und das müde Schwänzchen eines Sauriers, der seinen Kopf irgendwo in der Evolution verloren hat. „Egoiste“leuchtet in lippenrotfarbenen Lettern an der Wand. Solch eine Spottanordnung stammt natürlich von Sylvie Fleury. Die 36jährige Schweizerin hat mit ihren stets sehr elegant und geistreich auf die Luxuswarenwelt bezogenen Installationen in den letzten Jahren einen kometenhaften Aufstieg absolviert. Sie ist in Japan, Europa, Amerika gefragt, gerade jetzt hat sie zehn Ausstellungen laufen, und es ist völlig ungewiß, ob der Star heute abend zur Bremer Eröffnung kommen kann.

Zwei der drei anderen Künstler, die an der „Exotik Erotik“Schau im Künslerhaus beteiligt sind, werden ganz sicher nicht zugegen sein: Die Holländerin Lidy Jacobs ist bedauerlicherweise krank, der in New York lebende Kubaner Manuel Pardo hat zu viel Angst vorm Fliegen.

Bleibt der Pole Pjotr Dluzniewski, ein höflicher und umgänglicher Mensch, der gerne Auskunft über seine Zeichnungen und Metallbänderskulpturen gibt, letztendlich aber nicht sehr viel zu sagen hat. Aber was macht das schon. Sylvie Fleury hat bei ihrer ersten Einzelausstellung vor fünfeinhalb Jahren genauso beflissen und bescheiden herumgestanden. Und außerdem kann sich der Besucher prima alleine mit den Exponaten amüsieren. „Durch Kunst zeigen, daß Sex auch im Zeitalter von Aids noch lustig sein kann“, definiert Kurator Gérard A. Goodrow erfreulich lebensnah das Ziel seiner Bemühungen. Er hat es zweifellos erreicht.

Dluzniewskis Zeichnungen sind zwar recht lächerlich. Andererseits bilden die dicken Dominas, die ihre Peitschen durch diverse Folterkeller schwingen, einen guten kontrastiven Hintergrund zum Rest der Schau. Warum soll das erotische Kunst sein und nicht Pornographie, so fragt man sich. Hat Goodrow recht, der den Unterschied einzig am Kontext festzumachen sucht? Oder kann trotz künstlerischer Absicht nicht doch Pornographie herauskommen? Es scheint fast so. Denn diese Zeichnungen verbergen nicht nur nichts, sie regen nicht nur nicht zum Lachen oder gar zum Denken an, sondern sie haben auch sonst nichts anzubieten, das von den Körpern, die sie zeigen, weg- oder weiterführen könnte.

Vor dem Triptychon von Manuel Pardo wird man hingegen beinahe besinnlich. Er hat dasselbe Motiv dreimal in verschiedenen Farbgebungen wiederholt: ein Selbstportrait als Transvestit. Er trägt eine orangerote Perücke über dem schwarzen Haar und ein geblümtes, tief dekolletiertes Kleid im Stil der Fünfziger, unter dem die hautfarbenen falschen Brüste ein klein wenig hervorschauen. Die im Schoß zusammengelegten Männerunterarme, die schweren, abfallenden Schultern sprechen von derselben Disharmonie und Traurigkeit wie der gesenkte Blick. Das Gegenstück zur braven Mulata ist auf die Rückseite der Bilder aufmontiert: Lederriemen, Handschellen und massive metallene Schwanzringe, die sich zur Aufhängung, aber vielleicht auch zum einen oder anderen interessanten Mißbrauch gut gebrauchen lassen.

Wer es weicher mag, braucht sich nur umzudrehen. Lidy Jacobs' Kuscheltiere sind alle selbst genäht, aus Plüsch und Samt und Teddyfell zumeist, und ab 500 Mark kann man so eine „Soft Sculpture“auch mit nach Hause nehmen. Achtung: Scheckbücher und Kreditkarten zu Hause lassen! Die Schwänze, Bären, Affen und sonstigen Phantasiegestalten sind nämlich nicht nur taktil äußerst verführerisch. Sondern sie schmiegen sich mit ihrem kleinkindähnlichen Gewicht und ihren merkwürdigen, oft verbogenen langen Armen oder Hälsen auch mit beinahe unheimlicher Hartnäckigkeit an jeden, der erst einmal nach ihnen gegriffen hat. Ein Glück, daß es noch private Stiftungen mit nennenswerten finanziellen Möglichkeiten gibt: „Exotik Erotik“hat die Kraichtaler Ursula Blickle Stiftung mehr gekostet, als das Künslterhaus ganzjährig zur Verfügung hat.

Sophia Matenaar

Künstlerhaus am Deich, bis 19.April, Eröffnung heute, 20 Uhr

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