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Das Schlupfloch am anderen Ende der Erde

Das Endlager liegt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel, aber dafür kostet die Entsorgung einer Tonne Atommüll nur eine Million Dollar: Die Technik für ein internationales Lager im Nordpazifik soll aus Deutschland kommen  ■ Von Sven Hansen

„Wir wollen ein nukleares Pearl Harbor verhindern“ lautet Daniel J. Murphys Ziel. „Jede Tonne ausländischer abgebrannter Brennelemente ist eine Bedrohung für den American way of life“, meint der Präsident der US-Firma Nuclear Disarmament Services (NDS) aus Washington. Insbesondere islamischen Fundamentalisten unterstellt der pensionierte Marineadmiral, sie könnten die Sicherheit der Vereinigten Staaten durch nukleare Anschläge bedrohen, wenn sie an russisches Plutonium gelangten.

Murphy war in den 70er Jahren stellvertretender CIA-Direktor und später Stabschef von Vizepräsident Bush. Zusammen mit seinem britischen Geschäftspartner Alexander Copson, einem Giftmüllhändler und ehemaligen Gitarristen der Rockgruppe Iron Butterfly, versucht Murphy seit drei Jahren die Verantwortlichen in Washington davon zu überzeugen, ihnen ein internationales Endlager für Atommüll im Nordpazifik zu genehmigen.

Für den demokratischen Kongreßabgeordneten Neil Abercrombie aus Hawaii sind die beiden „Atommüllpiraten in Nadelstreifen“. Denn die Inseln, die bisher in der engeren Wahl der Weltendlagerer in spe genannt wurden, liegen für pazifische Verhältnisse in der Nachbarschaft des US-Bundesstaats und Surfparadieses: des Palmyra-Atolls und Wake Island. Bereits 1979 gab es erste Pläne, im Palmyra-Atoll Atommüll zu lagern. Die Gruppe aus 50 kleinen Inseln liegt 1.600 Kilometer südlich von Hawaii. Das 11,9 Quadratkilometer große Atoll ist unbewohnt und dicht bewachsen. Die in Hufeisenform angeordneten Inseln ragen an der höchsten Stelle nur zwei Meter aus dem Meer.

Seit 1922 befindet sich das Atoll im Besitz einer Familie aus Hawaii, die in Verhandlungen mit Copsons Firmen ist oder das Atoll bereits verkauft hat. Palmyra wird von den USA verwaltet, gehört aber nicht zum US-Staatsgebiet. Im Zweiten Weltkrieg haben die US-Streitkräfte in Palmyra einen Flughafen angelegt und Tausende Soldaten stationiert. 1951 wurden die Militäranlagen aufgegeben, das Atoll seitdem nicht mehr genutzt.

Die Wake-Insel hingegen liegt weiter westlich in der Mitte zwischen Guam und Hawaii. Das Atoll hat eine Fläche von 650 Hektar. Es wurde 1899 von den USA zur Nutzung für eine Telekom-Kabelstation annektiert und diente im Zweiten Weltkrieg als Militärbasis. Nach dem Krieg diente die Insel bis 1974 zum Auftanken von Flugzeugen und seitdem als Notflughafen. 1975 waren dort 15.000 Vietnamesen interniert, bevor sie in die USA weiterreisen durften. Wake war auch als Umsiedlungsort für die Bevölkerung des Bikini-Atolls im Gespräch, das durch Atomtests in den 50er Jahren unbewohnbar wurde.

Die nordpazifischen Inseln liegen in der Mitte zwischen Rußland und den USA und damit ideal für die Pläne von Murphy und Copson. Sie gehen davon aus, daß es bis zur Jahrtausendwende abgebrannte Brennstäbe und Plutonium im Umfang von weltweit knapp 200.000 Tonnen geben wird. Nur ein Fünftel davon befinde sich innerhalb der USA. Das internationale Nuklearlager ist als amerikanisch-russisches Joint-venture konzipiert und soll auch russisches ehemaliges Waffenplutonium aufnehmen, damit es nicht in falsche Hände gerät. An dem Firmenkonsortium soll das Moskauer Ministerium für Atomenergie (MinAtom) mit 25 Prozent beteiligt werden. Die Russen sollen so nicht nur von der Wiederaufbereitung abgehalten werden, sondern die Einnahmen sollen MinAtom auch wirtschaftlich stabilisieren und damit weniger anfällig für illegale Plutoniumgeschäfte machen.

Auch Technik made in Germany wollen die beiden US-Amerikaner mit an Bord nehmen. Der Atommüll soll in Castor-Behältern gelagert werden. Dafür hat man sich bereits die Lizenz der deutschen Gesellschaft für Nuklear- Behälter (GNB) in Essen besorgt. GNB gehört der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), deren Anteile wiederum werden von diversen großen deutschen Stromversorgungsunternehmen wie RWE gehalten.

Die gemeinsame Lizenzproduktion von jährlich bis zu tausend Castor-Behältern in Little Wake im US-Bundesstaat Arkansas sei bereits im Februar mit dem amerikanischen Konsortium vereinbart worden, so GNB/GNS-Sprecher Michael Ziegler. Die anvisierte Castor-Fabrikation bezeichnet er als „Milliardenprojekt“, die allerdings von der Realisierung des Lagers im Pazifik abhänge. Die Produktion von tausend Behältern pro Jahr sei für den Fall vorgesehen, daß sich alle Kernenergie-Staaten an dem Lager beteiligten. Ein Castor-Behälter kostet laut Ziegler „weit über eine Million Mark“.

Voraussichtlich werde GNS auch das Lager im Pazifik planen, das der Sprecher als „Langzeit- Zwischenlager“ bezeichnete. Er räumte ein, bei dem Projekt sei einiges noch nicht geklärt, es enthalte aber „faszinierende Aspekte“. Dazu zählt Ziegler die geplante wirtschaftliche Einbindung Rußlands.

Murphys und Copsons Firmen, die eine Stellungnahme gegenüber der taz ablehnten, wollen ein komplettes Paket nuklearer Dienstleistungen anbieten. Dazu zählen Leasing und Transport nuklearer Brennstoffe und die Rücknahme und Lagerung der verbrauchten Brennelemente. Die Lagerung soll pro Tonne nur eine Million US- Dollar kosten. Damit würde die Wiederaufbereitung unattraktiv und kein Plutonium anfallen. In einem Brief an die Umweltschutzorganisation Greenpeace unterstellt Murphy seinen Kritikern, den Interessen französischer und britischer Wiederaufbereitungsanlagen zu dienen.

Zunächst hatten Murphy, Copson und die hinter ihnen stehende New Yorker Investmentfirma KVR für ihren kommerziellen Atomfriedhof die Insel Midway vorgesehen. Die zu den USA gehörende Koralleninsel im Stillen Ozean war ein berühmtes Schlachtfeld im Zweiten Weltkrieg. Die US-Regierung will Midway jedoch in ein Naturschutzgebiet verwandeln. Auch mit der Republik der Marshall-Inseln, zu der das durch Atomtests verstrahlte Bikini-Atoll gehört, konnten die Atommüllhändler nicht einig werden. Dabei boten sie sogar 160 Millionen US-Dollar und eine Gewinnbeteiligung an ihren Firmen. Die beiden haben aber auch andere Atolle im Visier, deren Namen sie nicht nennen wollen und die für manche auch das wahre Ziel sein könnten.

Ende Januar formulierte Murphys Firma einen Gesetzentwurf für den US-Senat. Der soll ihr auf Palmyra und Wake den Betrieb eines Atomlagers für mindestens 200.000 Tonnen abgebrannter Brennstäbe gestatten. In dem der taz vorliegenden Gesetzentwurf heißt es: „Ein isolierter, unbewohnter und geologisch stabiler Ort unter US-Verwaltung, der für MinAtom akzeptabel ist, kann nur in den nördlichen Regionen des Pazifischen Ozeans gefunden werden.“ Laut Gesetzentwurf habe das Projekt keine negativen Auswirkungen auf das Ökosystem des Pazifiks und werde weder Menschen noch Tiere bedrohen.

Um das Lager in möglichst kurzer Zeit einrichten zu können, sieht der Entwurf Ausnahmen von gültigen Umweltgesetzen vor, darunter von der Umweltverträglichkeitsprüfung. Nuclear Disarmament Services hat bisher noch keinen Politiker gefunden, der das Gesetz einbringen will. Bereits im vergangenen Jahr hatte ein ähnlicher Vorstoß Gegner alarmiert. Der demokratische Hawaii-Senator Daniel Akaka brachte damals ein Gesetz ein, das der US-Atombehörde die Genehmigung eines Nuklearlagers außerhalb der 50 Bundesstaaten verbieten soll. Um ihre Pläne voranzubringen, bedienen sich Murphy und Copson ihrer politischen Verbindungen und kaufen sich Einfluß. Die beiden haben eine „typische Washingtoner Insider- Strategie“, meint ein Beobachter. Als einen von ihren mehreren Dutzend Beratern haben sie auch den früheren Außenminister James Baker engagiert. In ihre Pläne haben sie inzwischen fast alle früheren US-Verteidigungsminister der letzten Jahre sowie den ehemaligen Außenminister Henry Kissiger eingeweiht. Am 4. März haben Murphy und Copson ihr Vorhaben auf einem Symposium an der Washingtoner Georgetown-Universität vorgestellt. Eingeladen hatte Dekan Robert Galucci, der 1994/95 Präsident Clintons Sonderbotschafter war, um dem nordkoreanischen Atomprogramm die militärische Brisanz zu nehmen.

Auf dem Symposium bestätigte Rußlands MinAtom-Vizeminister Waleri Wladimirowitsch Bogdan das Interesse seiner Regierung an dem Projekt. Die Veranstaltung mit zweihundert Teilnehmern aus Politik und Wirtschaft war für Murphy und Copson jedoch kein Erfolg. Nach Meinung des Greenpeace-Mitarbeiters Damon Moglen sei unklar geblieben, ob ein End- oder ein Zwischenlager angestrebt werde. Dafür sei die Unausgereiftheit der Pläne deutlich geworden. Auf den Einwand, Palmyra könne wegen Klimaveränderungen bald unter Wasser stehen, antwortete der deutsche GNS-Manager Klaus Janberg laut Nuclear Fuel, einer Fachzeitschrift, das Lager sei „wegen der Castor-Behälter flexibel und kann bei Bedarf umziehen“.

Laut Moglen wurden auf dem Symposium auch die angestrebten Sonderregelungen der Umweltgesetze kritisiert und daß angrenzende Staaten nicht in die Pläne einbezogen seien. Erst im vergangenen Jahr hatte das Forum Südpazifischer Nationen, ein Zusammenschluß von Staaten aus der Region, seine Opposition gegen Pläne zur Lagerung von Atommüll im Pazifik wiederholt.

Auf Drängen von Senator Akaka hatte sich im vergangenen August bereits das Weiße Haus geäußert. Zwei Mitarbeiter aus Clintons Stab schrieben dem Senator: „Die Idee eines international koordinierten Ansatzes zur Handhabung und Lagerung abgebrannter Uran-Brennstäbe hat hohe Verdienste.“ Doch zugleich kündigten sie den Widerstand der Regierung an: „Zahlreiche Nachteile überwiegen die Vorzüge.“ Zu den Schwachpunkten zählt das Weiße Haus, daß US-Territorium zur Nuklearmüllhalde der Welt werden solle. Damit bliebe an der Regierung die Verantwortung hängen. Die angestrebte Aussetzung etablierter Umweltgesetze sei ein „Vertrauensbruch gegenüber der Öffentlichkeit“. Die US-Regierung plant selbst ein Endlager in Yucca-Mountain in der Wüste von Nevada.

Murphy und Copson haben sich bisher keineswegs entmutigen lassen. „Jeden Tag ändern sie ihren Vorschlag, täglich ist es eine andere Insel“, meint Moglen von Greenpeace. Seiner Meinung nach haben die beiden noch einen langen Weg vor sich, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Allerdings zweifelt er nicht daran, daß sie dazu alle Hebel in Bewegung setzen werden. „Hinter den beiden steht sehr viel Geld“, so Moglen. Nach Angaben der Investmentfirma KVR seien bereits mehrere Millionen Dollar ausgegeben worden, Fragen nach ihren Geldquellen beantwortet sie allerdings nicht.

Auf dem Symposium in Washington wurde berichtet, daß aus Deutschland, Taiwan und Süd-Korea Interesse an dem geplanten Lager für Atommüll bestehe. In Süd- Korea sind die Lagerkapazitäten bald erschöpft, in Taiwan ist es bereits der Fall. Taipeh hatte erst kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als bekannt wurde, daß taiwanischer Atommüll in Nord-Korea entsorgt werden soll. In Bonn trat Ende Februar Umweltstaatssekretär Walter Hirche Spekulationen entgegen, Deutschland könne sich an einem internationalen Atommüllager beteiligen und damit der Endlagerausbau in Gorleben überflüssig werden. Der Export radioaktiver Abfälle dürfe kein Ziel deutscher Umweltpolitik werden, so Hirche. Er bezeichnte den Verzicht auf den Nachweis nationaler Endlagermöglichkeiten als „unverantwortlich“.

Greenpeace hat inzwischen Widerstand gegen das von Murphy und Copson im Pazifik geplante Atomlager angekündigt. In einer Erklärung heißt es: „Dies ist nicht die Lösung für die weltweit wachsenden Probleme bei der Beantwortung der Frage: Wohin mit dem Atommüll? Eine Lagerung im pazifischen Hinterhof löst das Problem nicht, sondern verschiebt es nur. Was passiert, wenn Palmyra oder Wake voll sind?“

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