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Arbeitslosigkeit muß umverteilt werden

■ Tagung zur Beschäftigungspolitik: Keine neuen Jobs durch ABM-Stellen

Berlin (taz) – Die Briten reden nicht um den heißen Brei herum: „Die Studien haben doch gezeigt“, sagt Nigel Meager, „daß die Nettoeffekte für neue Jobs durch Beschäftigungspolitik gering sind.“ Streiten müsse man um die Umverteilung. Und zwar „Umverteilung der Arbeitslosigkeit“, glaubt Meager, Sozialforscher an der Universität Sussex. Die Briten erwiesen sich als Pragmatiker auf der Tagung des Wissenschaftszentrum Berlins (WZB) zu Trends der Beschäftigungspolitik in den EU- Ländern.

Fazit: Neue, zusätzliche Jobs werden durch Arbeitsmarktpolitik nicht geschaffen. In erster Linie geht es um eine neue Arbeitsverteilung. Eine Studie des Nürnberger IAB-Instituts ergab, daß die Effekte der Beschäftigungspolitik in den wichtigen Industrieländern „weniger in einer Senkung des Arbeitslosigkeitsniveaus bestehen dürften“. Vielmehr diene diese Politik vor allem der „Umverteilung der Arbeitslosigkeitsrisiken zugunsten der Problemgruppen“.

Vergleiche des WZB-Forschers Günther Schmid zeigen, daß steigende Ausgaben für Beschäftigungspolitik nur in Ländern wie Dänemark, Irland und Niederlanden mit einer Senkung der Arbeitslosigkeit einhergingen. In Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien hat die Zahl der Erwerbslosen jedoch zugenommen, obwohl 1995 im Vergleich zu 1989 mehr ausgegeben wurde für Beschäftigungsmaßnahmen.

Deutschland steht bei den Maßnahmen keineswegs an der Spitze: In den skandinavischen Ländern, aber auch in Frankreich, Belgien, und Irland lag der Anteil der Neuzugänge in Job- und Bildungsprogrammen im Vergleich zu den Erwerbspersonen höher als in Deutschland. In Frankreich beispielsweise befindet sich fast jeder achte der sogenannten Erwerbspersonen in einer Maßnahme oder auf einem subventionierten Job.

Die Nettobilanzen der Beschäftigungspolitik sind zwar international ernüchternd, aber man müsse die Frage stellen, „wie hoch die Arbeitslosigkeit denn wäre und wie ungünstig die Struktur der Arbeitslosigkeit, wenn es gar keine Maßnahmen gäbe“, so Schmid. Der Sozialforscher fordert, die Übergänge zwischen Vollzeitjobs und reduzierter Arbeitszeit, zwischen subventionierten und nicht subventionierten, zwischen befristeten und unbefristeten Jobs zu erleichtern. Diese „Übergangsarbeitsmärkte“ sollten gefördert werden, um eine bessere Arbeitsverteilung zu erreichen.

Viele der Instrumente dazu sind schon vorhanden: Die Kurzarbeit beispielsweise reduziere die Arbeitslosigkeit in der EU schon um 0,3 bis 0,5 Prozent, sagt Schmid. In Frankreich, einigen Betrieben Deutschlands und im öffentlichen Dienst in Ostdeutschland wurden zudem Arbeitszeiten und Einkommen verringert, um Jobs zu retten.

In vielen EU-Ländern werden Existenzgründungen von Arbeitslosen gefördert, dies betrifft laut Schmid aber höchstens ein Prozent der Erwerbslosen. In Deutschland wird neuerdings die Einstellung von Arbeitslosen in neugegründeten Firmen subventioniert.

Kurzfristige Lohnsubventionierungen in den EU-Ländern seien weniger erfolgreich, so Schmid. Der Trend ginge inzwischen dahin, die Lohn- und Lohnnebenkosten für bestimmte Zielgruppen für einen längeren Zeitraum oder sogar auf Dauer zu reduzieren.

Zeitarbeitsfirmen, die bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen helfen, so wie die holländische Firma Start, gründen inzwischen auch in Deutschland immer mehr Niederlassungen. Auch die klassischen ABM-Maßnahmen könnten Flexibilität fördern, indem die Aufgaben nach und nach privatisiert und die Subventionen entsprechend graduell abgebaut würden. Weiter könnten die Übergänge zwischen Familien- und Erwerbsarbeit durch vorübergehende Teilzeitarbeit gefördert werden. Auch Jobrotation für Beschäftigte in Weiterbildung und die Altersteilzeit sind potentielle „Übergangsarbeitsmärkte“.

Übergänge setzen aber voraus, daß da am Ende noch ein unsubventionierter Arbeitsmarkt ist. „Das Problem ist, was machen wir mit Regionen, die immer von Transferzahlungen abhängig sein werden?“ fragte Peter Lloyd von der Universität Liverpool. Barbara Dribbusch

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