: Die Wunder von Pont Neuf
■ Komponist, Philosoph und – Bettler: Der Amerikaner und Wahl-Pariser Gordon Sherwod ist für kurze Zeit in Bremen gestrandet / Ein Portrait mit Herzklopfen
Ich habe Herzklopfen und Scheu, Gordon Sherwod zu treffen. Weder in meinem Bekanntenkreis noch auch nur vom Hörensagen kenne ich einen Menschen, der eine derart radikale Konsequenz aus den persönlichen und beruflichen Umständen seines Lebens gezogen hat: Der 68jährige amerikanische Komponist Gordon Sherwod lebt seit über dreißig Jahren vom Betteln. Das ist seine Arbeit, wie er sagt. Er bettelt bis zu zwölf Stunden pro Tag – auf den Champs-Elysees in Paris. Dort schläft er in einem kleinen Hotel auf dem Montmartre, seine Papiere, seine Noten läßt er von einem Freund in Wales verwahren. „Gefunden“hat ihn der Bremer Maler Jub Mönster. Für Portraitarbeiten zu einem Fernsehfilm hatte der in Paris nach ihm gesucht. Damals fand er ihn nicht und vergaß die Geschichte. Jahre später – im Frühjahr 1997 – traf er ihn in einer Hafenkneipe in Tanger. Sherwod erzählte, er werde wegen der Produktion einer CD demnächst in Syke bei Bremen sein. Und dieses demnächst ist jetzt.
Anlaß genug, sich Noten und Kassetten der Musik von Gordon Sherwod zu verschaffen. Das Erstaunen ist groß: Diese Musik klingt, als gäbe es das 20. Jahrhundert nicht. Es ist Musik von überzeugender handwerklicher Kunst, Musik von irrealer Schönheit. Der Übervater ist Johann Sebastian Bach – im Posaunenquintett mit dem Thema B-A-C-H, in der Cellosuite, in den Gitarrenpréludes. Das wohltemperierte Klavier und die Kunst der Fuge hat Sherwod auswendig gelernt. Seine Musik wird heute selten gespielt von wenigen Freunden, die sich in alle Welt verstreuen.
Im Bremer Arbeiterstadtteil Walle das Atelier von Jub Mönster. Wir sitzen im Grünen und reden. Meine Scheu ist schon in der ersten Sekunde weg, denn ich sitze einem braungebrannten, keineswegs verzeifelten Mann gegenüber, dessen blaue Augen neugierig blitzen und der es kaum abwarten kann, etwas über seine Musiktheorien, die er sein Leben lang viel zu selten vorstellen konnte, zu erzählen.
Er, dessen Musik diese merkwürdige Mischung zwischen Barock und Romantik ist, aufgepeppt mit Blues und Jazz, erzählt hocherregt über seine Intervallforschungen: „Fis ist nicht gleich Ges“, sagt er und fährt fort: „Die vergrößerte Quart ist etwas anderes als die verminderte Quint, das erste Intervall ist aufgrund der mathematischen Verhältnisse ein stabiles, das zweite ein unstabiles“– Yin und Yang nach der Lehre des Tao. Seine Ideen sind nicht neu. Im Gegenteil. Sie sind in den antiken Musiktheorien verankert. Ich frage: „Haben Sie Austausch, welche Theoretiker, welche Praktiker lesen Sie, mit wem sprechen Sie?“„Dazu habe ich kaum Zeit“. Seine Kollegen kennt er nicht, alles denkt er sich ganz alleine aus, lebt von den Resten seines Studiums, das er mit Auszeichnung abgeschlossen hat.
Zuletzt war der Hochbegabte mit dem begehrten Fulbrightstipendium Kompositionsschüler von Philipp Jarnach in Hamburg. Und am Anfang seiner nicht gemachten Karriere standen 1959 die Aufführung seiner ersten Sinfonie in New York unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos und der Gershwin-Kompositionspreis.
Als er den Zettel vollkritzelt mit Zahlen – er ist besessen von der mathematischen Erfassung der Intervalle – gehen meine Gedanken immer wieder dahin, wie es kommen konnte, daß er sich dem Musikbetrieb so sehr verweigert hat, daß er in ihm auch keine Chance mehr hatte. „Warum“, frage ich fast verzweifelt, „haben Sie denn nicht mit Musikmachen Geld verdient und Ihren Komponistenberuf organisieren können?“„Ich habe so viele Angebote gemacht, alles wurde abgelehnt. Und Geld verdienen mit Musik war mir nicht möglich. Ich hätte so lügen müssen, mit Theorien, die nicht meine waren, mit Musik, die nicht meine war, mit Unterricht, der mich nur vom Komponieren abhielt, das habe ich alles nicht geschafft. Irgendwann habe ich Schluß gemacht und wollte nur noch komponieren. Und dieser Haß auf Disziplin und Autorität hat mich dann diesen Weg wählen lassen.“
Der Haß auf Disziplin und Autorität? „Mein Vater hat mich wegen meiner musischen Interessen im Alter von zehn Jahren in eine Kadettenanstalt gesteckt und meine ebenfalls sehr begabte Schwester bekam Elektroschocks, weil sie sich verliebte. Sie hat nie mehr gelacht.“
Ich wage es noch, ihn zu fragen, daß seine Musik doch überholt sei. Er weiß das, „ich fühlte mich noch nicht reif zu eigenem“. Und mit seinen 68 Jahren sagt er: „Ich möchte nicht zu schnell sein, sondern die Dinge lieber auf mich zukommen lassen“. Warum geht er denn jetzt an die Öffentlichkeit? „Ich habe nicht mehr viel Zeit, ich muß meine 25 unfertigen Partituren fertigkriegen.“Und Lectures würde er auch halten.
Vorerst hat er ein viermonatiges Stipendium in Amerika, aber dann wird er wohl wieder in Paris sein, wenn kein Wunder geschieht.
Ute Schalz-Laurenze
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