: Haare in der Suppe
■ "Focus" und "Spiegel" sind Schäfchen dagegen: Italiens Magazine begiften sich, das journalistische Ethos ist dahin
Die Rubrik trägt den nicht gerade italienischen Titel „The other place“: An prominenter Stelle von Panorama, dem Flaggschiff der Nachrichtenmagazine aus dem Hause des Mailänder Medientycoons und schmählich gescheiterten Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, listet das Wochenblatt Irrtümer und Druckfehler seiner Konkurrenten auf.
Ziel ist zumeist der Hauptrivale L'Espresso, den Berlusconi Anfang der 90er Jahre trotz einer Nacht- und-Nebel-Aktion nicht unter seine Fuchtel zu bringen vermochte. Da werden pingelig falsche Vornamen oder irrige Geburtsdaten registriert, mal auch eine am „anderen Platz“ in einer Biographie gelassene Lücke mit angeblich spektakulären Details gefüllt oder Autoren vorgeworfen, sie hätten früher anders geredet, als heute.
Auch L'Espresso und den anderen Blättern ist offenbar jede Selbstsicherheit abhanden gekommen: Sie keilen, ebenfalls im vordersten Teil ihres Blattes, kräftig zurück – meist weisen sie dem Zensor in Panorama akribisch nach, daß just er sich bei seinen Anmerkungen geirrt hat, öfter aber noch finden auch sie irgendwelche Haare in der Artikelsuppe des jeweiligen Konkurrenten.
Für den Leser wäre das an sich nicht so schlimm. Doch seit einigen Monaten ist es mit den Besserwisserrubriken nicht mehr getan – nahezu alle politischen und immer häufiger auch kulturellen Artikel gruppieren sich ausschließlich um Angriffe gegen die Konkurrenz – Espresso schreibt dies oder das, ist alles falsch –, ohne daß es in Panorama dann Belege dafür gäbe; umgekehrt beginnen die Espresso-Artikel meist mit einer Blütenlese aus Panorama und anderen Berlusconi-Blättern, so daß der Leser bereits nach den ersten drei Absätzen resigniert.
Wo ist er hin, der einstmals so gerühmte, aggressive Enthüllungsjournalismus Italiens, der jede Woche die Notablen und Potenten des Landes in ihrer ganzen Erbärmlichkeit und ihrem kleinkarierten Machtstreben vorführte? „Es ist das Desaster der italienischen Journaille“, stöhnt einer der wenigen unabhängig gebliebenen Kommentatoren, Giorgio Bocca, 72, „daß die Medien – nach langen Jahrzehnten ihrer Unterwerfung unter politische Strömungen – nun ganz unter die Herrschaft wirtschaftlicher Interessen der jeweiligen Eigner geraten sind“.
Indro Montanelli, 86, Nestor der italienischen Schreiber-Gilde, „kann nur noch Ekel ausdrücken über das, was ich da jeden Tag zu lesen bekomme, in den Magazinen ebenso wie in den Tageszeitungen“.
Vordem, so die beiden alten Männer des Journalisten-Gewerbes, wußte man zwar von jeder Zeitung und Zeitschrift, welcher politischen Partei und welcher Strömung jener Partei das Blatt oder der jeweilige Schreiber nahesteht, aber „da auf diese Weise alle Fraktionen vertreten waren, ergab die Gesamtheit der Presse in Italien ein gar nicht so unzutreffendes Bild der Realität. Zumal die Parteilichkeit nahezu nie so weit ging, vorhandene Informationen einfach zu unterdrücken oder bewußt schiefe Bilder zu erzeugen“, so Bocca.
Montanelli zum Beispiel leitete 20 Jahre lang Il Giornale, ein Blatt, das er selbst gegründet hatte. Auch als Berlusconi in den 80er Jahren die Aktienmehrheit übernahm, änderte sich nichts am politischen (liberalkonservativen) Kurs der Zeitung. Erst 1993, als Berlusconi mit dem Sturz seiner politischen Gönner Craxi und Andreotti auch in große wirtschaftliche Schwierigkeiten kam und danach selbst in die politische Arena trat, machte er massiven Druck auf Montanelli. Da der Chefredakteur das nicht wollte, trat er zurück und gründete trotz seiner mehr als 80 Jahre noch eine neue Zeitung: La Voce, die nach einem Jahr eingestellt wurde – vor allem weil die Druckerei unter Berlusconis Fuchtel kam und ihm kurzerhand die Verträge aufkündigte.
Die Crux sehen die meisten Analytiker der italienischen Situation vor allem darin, daß hier, im Unterschied zu den meisten anderen Demokratien, die großen Zeitungsverlage zu Mischkonzernen gehören. Zu Berlusconis Imperium zählen riesige Bauunternehmen, Handelsketten, Finanzierungsgesellschaften; L'Espresso andererseits ist, wie auch die zweitgrößte Tageszeitung Italiens, La Repubblica, in der Hand des Elektronik- und Handelskonzerns Olivetti. Die größte italienische Tageszeitung, der Corriere della sera, gehört zum Reich des Autokonzerns Fiat, deren Hauptaktionäre auch noch die Alleineigner der viertgrößten Tageszeitung La Stampa sind. Zwar zeichnen sich die Fiat-Blätter durch eine größere Autonomie der Redaktionen aus, aber die politische Grundrichtung wird natürlich auch hier vom „Padrone“ gesetzt. Etwa durch die von den jeweiligen Eigentümern meist höchstpersönlich vorgenommene Bestellung der Chefredakteure.
Dennoch hielten nahezu alle Blätter und auch die elektronischen Medien lange Zeit eine gewisse Unabhängigkeit zu ihren Brötchengebern; sie konnten ohne Schwierigkeiten große Enthüllungsstories auch über die eigenen Konzerne und deren Manager bringen. Oft kamen die schonungslosesten Berichte über einen Unternehmer just in den konzerneigenen Medien heraus.
Doch mit der Polarisierung zwischen Berlusconi und De Benedetti ging es mit der Autonomie der Redaktionen langsam bergab. Vollends zur Kampfpresse wurden die großen Blätter nun seit Jahresbeginn – da mußte Berlusconi erkennen, daß die von ihm erhoffte stille Beerdigung der Korruptions- und Mafiaanklagen gegen sich und seine Manager ausbleiben würde. Und, schlimmer noch; daß sein ausgewiesener Hauptfeind, Volksliebling Antonio Di Pietro, vordem Chefankläger in Korruptionssachen, sich tatsächlich anschickte, in die Politik zu gehen.
Berlusconi ersetzte flugs den nicht hinreichend gehorsamen Chefredakteur Andrea Monti durch Giuliano Ferrara, der ihm schon während seiner Zeit als Regierungschef Wadenbeißerdienste geleistet hatte: ein Mann, der als strammes KP-Mitglied begonnen hatte, sich dann zur Sozialistischen Partei Bettino Craxis hinwandte und nun bei der rechten Forza Italia gelandet ist. Ferrara begann sofort mit einem furiosen Sperrfeuer gegen Di Pietro. Flankierend greift er in rüdester Manier auch noch jeden an, der sich positiv zu Korruptionsverfahren äußert. Höhepunkt: ein dem Magazin beigelegtes Büchlein mit dem Titel „Angriff auf die Regierung Berlusconi“, in dem eine Verschwörung von Espresso und Di Pietro gegen die einstige Berlusconi-Koalition unterstellt wird. Da keilte Espresso zurück und bezeichnete Ferraras Patron Berlusconi als den „Vater aller Zeitungsenten“. Seither teilen die Leser Zeitungen und Schreiberlinge nur noch in zwei Kategorien ein: Dipietrones und Berluscones – die Hispanisierung der Namen ist dabei gewollt und die Nähe zur lächerlichen Bananenrepublik bereits unübersehbar.
Nur mühsam kommt inzwischen eine Gegenkampagne voran, in der vor allem die alte Garde aus der großen Zeit des italienischen Journalismus nach einem Ende der Mischung aus Kindereien und Schlammschlacht ruft: Indo Montanelli, Giorgio Bocca, Enzo Biagi, Arrigo Levi. Sie alle verlangen nach einer „Rückkehr zur Seriosität“, die Wiedereinführung vordem eherner jounalistischer Prinzipien wie die Trennung zwischen Information und Kommentar. Ob sich Ferrara und seine Gegenspieler von solchen Appellen der großen Namen des italienischen Journalismus noch beeindrucken lassen, steht zunächst dahin.
Vielleicht kommt das Ende des Schimpf-Journalismus aber doch eher als erwartet – die Auflagen der großen Magazine sinken derzeit bedrohlich. Panorama hat allein seit Jahresbeginn mehr als 5 Prozent seiner Auflage verloren. Und dann könnte es sein, daß Ferrara selbst sich bald einen „other place“ suchen muß. Werner Raith
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