: In hitziger Atmosphäre spielen Engländer italienisch
■ Mit einem souveränen 0:0 in Rom qualifiziert sich Hoddles Team für die WM und beweist dabei, daß Englands Fußball in der Moderne angekommen ist. Italien muß in die Qualifikation
Rom (taz) – Wie Sieger feiern, berichtete Graeme Le Saux exklusiv aus der Umkleidekabine der englischen Fußballnationalmannschaft: „Es gab Wasser und Bananen“, sagte der Außenverteidiger. Mitten in der Nacht, mitten in Rom konnten sich die englischen Fußballer endlich einmal wieder wie der Mittelpunkt der Welt fühlen. Bevor sie in den Katakomben des Olympiastadions zum Duschen und Bananen essen verschwanden, dirigierte Paul Ince seine Mitspieler eine Ewigkeit lang zum Jubelmarsch von einer Fankurve in die andere. Um den Kopf trug Ince einen Verband, der von weitem einem Turban glich.
Gleich in der sechsten Spielminute hatte der Mittelfeldstratege bei einem Kopfballduell mit Demetrio Albertini eine Platzwunde an der Schläfe davongetragen. Wie er im blutverschmierten Trikot den Italienern den Weg durch die Mitte des Spielfeldes versperrte, wurde er in der Samstagnacht zur Symbolfigur des englischen Erfolges.
Doch es ist ein falsches Symbol. England erzwang das 0:0 gegen Italien, das zur direkten Qualifikation für die WM noch gefehlt hatte, nicht mit den vielzitierten britischen Qualitäten Kampf und Kraft. Das Unentschieden von Rom war der Beweis, daß das selbsternannte Mutterland des Fußballs, ein Jahrzehnt lang verlacht und verhöhnt ob seiner taktischen und technischen Rückständigkeit, angekommen ist in der Moderne.
Zehn Tage nachdem Manchester United in der Champions League die mutmaßlich beste Vereinself Europas, Juventus Turin, mit Begeisterung und Tempo 3:2 bezwungen hatte, brachte die Nationalelf mit Ruhe, fast schon Kühle das 0:0 in Sicherheit; in einer heißen römischen Nacht, in einer hitzigen Umgebung.
Der Anpfiff des Spiels wurde in der Curva Nord des Stadions als Signal verstanden für die bei solchen Ereignissen offenbar noch immer unvermeidbaren Prügeleien. Schon in der Nacht zuvor hatten rund um den Bahnhof Termini aggressive Polizisten und angetrunkene englische Fans Hiebe ausgetauscht. Im Stadion stürmten ein paar hundert der circa 10.000 britischen Zuschauer auf die Polizisten, die jagten sie – angefeuert von 70.000 Italienern – zurück, dann flogen Schalensitze.
Auf dem Fußballplatz schien währenddessen die Kontrolle der Abwehrkräfte total; es gab kaum Chancen. Am Ende war es Klischeefußball, verkehrt herum: Die Italiener schlugen, so urbritisch, nur noch lange Bälle nach vorne; die Briten paßten den Ball, so schön italienisch, sicher durch die eigenen Reihen. Italien bekam keine Fahrt ins Spiel. Im Mittelfeld, klagte Trainer Cesare Maldini, habe man den Gewinn vertan, den man gebraucht hätte, um den Engländern den Gruppensieg noch wegzunehmen. Gianfranco Zola, der 1,68 Meter kleine Trickser, verkroch sich auf die Flügel, vertrieben von Englands Doppelsicherung im Mittelfeld, Paul Ince und David Batty.
In Italien werden derartige Mißerfolge gerne zu halben Staatskrisen erklärt. Da sie aber derzeit eine echte Regierungskrise in Rom haben, behalten sie vielleicht diesmal den Blick frei für die Realitäten. Italien ist als Gruppenzweiter nicht ausgeschieden. In zwei Zusatzspielen kann man alles wiedergutmachen. Trainer Maldini selbst rief schon mal den Notstand aus: „In ein, zwei Jahren bekommt Italien richtig Probleme“, sagte er, „es gibt keine neuen, jungen Spieler in unserer Liga.“
Das klang nicht ganz logisch, wenn man seine Aufstellung durchging: Verteidiger Alessandro Nesta ist 21, sein exzellenter Nebenmann Fabio Cannavaro und die Angreifer Christian Vieri und Filippo Inzaghi 24.
Hoddle ließ mit Sol Campbell (23) und David Beckham (22) nur zwei Frischlinge mitmachen, obwohl kein europäischer Landestrainer so eine Auswahl an jungen Kräften hat wie er. Sieben seiner Italienreisenden sind 23 und jünger. In Hoddle (39), selbst der bislang jüngste englische Nationaltrainer, scheinen sie den richtigen Ziehvater gefunden zu haben.
Hoddle wirkt nicht selten wie ein penibler Schuldirektor, der alles bis ins kleinste Detail organisieren will, restlos überzeugt von der Richtigkeit seiner Ideen. Das Abwehrsystem mit drei Spielern etwa verehrt Hoddle geradezu religiös; verbohrt, wenn man einen negativen Ausdruck finden will. Wahrscheinlich jedoch hat dem englischen Fußball zu lange so jemand gefehlt.
Spaß haben sie unter Hoddle auch. Ganz so puritanisch, wie Graeme Le Saux (27) es anfangs schilderte, ging es in der Umkleidekabine in Wirklichkeit nicht zu. Nur Wasser und Bananen zum Feiern? „Oh“, sagte Le Saux, „und Gummibärchen.“ Ronald Reng
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