: Ein Tritt in den Hintern für Nichtchristen
■ betr.: „Ende der grünen Kreuz züge“, taz vom 23. 10. 97
Schon der Titel des Artikels ist schlichtweg falsch. „Grüne“ Kreuzzüge hat es nie gegeben; die Verantwortung für den Völkermord im Mittelalter unter religiösen Vorzeichen trägt die katholische Kirche ganz allein.
Die Kritik an den Kirchen, die die Grünen in den vergangenen Jahren benannt haben, ist auch heute berechtigt. An den zahlreichen Kirchenprivilegien, hinübergerettet aus den Jahrhunderten des Staatskirchentums, hat sich bis heute nichts geändert:
Milliarden Mark zahlen die meisten Bundesländer den Kirchen jährlich an sogenannten Staatsleistungen, ein Relikt aus der Säkularisation nach den Napoleonischen Befreiungskriegen.
Der Einzug der Mitgliedsbeiträge – sprich Kirchensteuer – durch den Staat erspart den Kirchen eine Menge Kosten.
Als Körperschaften öffentlichen Rechts genießen die Kirchen immense Steuervergünstigungen, von denen andere Organisationen nur träumen können.
Ein gesondertes Arbeitsrecht ermöglicht ihnen, MitarbeiterInnen mit nicht „kirchengerechtem“ Lebenswandel zu kündigen.
Religionsuntericht an den Schulen – eigentlich eine innerkirchliche Angelegenheit – wird immer noch vom Staat finanziert und garantiert.
Auch die Militärseelsorge und die theologischen Fakultäten werden vom Staat finanziert.
Diese – nicht vollständige – Auflistung zeigt: Von einer Trennung zwischen Staat und Kirche kann nicht gesprochen werden. Christa Nickels als „kirchenpolitische“ Sprecherin der Bundestagsfraktion hat es sich in letzter Zeit zunehmend zur Aufgabe gemacht, als Sprecherin der Kirchen aufzutreten und die berechtigte Kritik an diesen Organisationen unter den Tisch fallenzulassen. Wenn der Bundesvorstand der Grünen mit Vertretern der Bischofskonferenz Gespräche führt, tut er gut daran, auch die obengenannten Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Monika Steinheuser, Sprecherin
der LAG „Trennung von Staat
und Kirche“ bei den
Grünen NRW
[...] Daß die bisherige, wenn auch von der „kirchenpolitischen Sprecherin“ Christa Nickels seit Jahren sabotierte Haltung der Grünen zur Kirchenpolitik als Kreuzzug diffamiert wird, paßt leider zu einer in letzter Zeit öfter zu beobachtenden Klerikalisierungstendenz bei der taz, siehe zum Beispiel Kirchentagsberichterstattung, Mutter Teresa und nicht zuletzt die unsäglichen „Alles wird gut“-Aufkleber mit den betenden Händen. Und jetzt also dieser unglaublich einseitig kirchentreue Kreuzzugsartikel. Man könnte fast meinen, bei Euch hätten neuerdings Bischöfe Sitz und Stimme in der Redaktion.
Da Ihr ausführlich die Positionen Nickels' und der Kirchen referiert, möchte ich doch mal aus der Sicht jener Kritiker aus NRW, die zwar auch kurz erwähnt werden, aber eher als lästige Störenfriede, mit denen zu reden aber offensichtlich nicht nötig war, einiges klarstellen:
Die bisherige Haltung der Grünen war weder kirchenfeindlich noch auch nur kirchenkritisch. Kirchenfeindlich war sie nicht, weil nicht mehr gefordert wurde als die konsequente Trennung von Staat und Kirche, also die Abschaffung jener überkommenen Kirchenprivilegien und Verfilzungen, die die Kirchen aus vordemokratischen Zeiten des Staatskirchentums bis in unsere Zeit herübergerettet haben. Keineswegs aber war grüne Politik je auf Abschaffung der Kirchen oder gar des Christentums gerichtet, niemand hat je den Kirchen streitig gemacht, wie alle anderen auch am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen, sich in die politische Debatte einzubringen und demokratische Mehrheiten für ihre Ansichten zu suchen. Allerdings wurde im bisherigen grünen Programm stets die Weltanschauungsfreiheit betont, die im Falle von Nichtchristen eben auch Freiheit von christlicher Religion bedeutet, und gefordert, daß den Kirchen keine höhere Stellung als den übrigen Gruppierungen einzuräumen sei, also all das, was anderen Gruppierungen selbstverständlich nicht zusteht, auch den Kirchen nicht zusteht. [...] Damit allerdings haben sich die Grünen in der Tat die Kirchen zu Feinden gemacht, die sich angegriffen und unterdrückt fühlen, wenn sie genauso gut oder schlecht behandelt werden wie zum Beispiel Gewerkschaften oder Kaninchenzüchtervereine. Daß in der vordersten Front dieser „Kirchenhasser“ ausgerechnet der Pfarrer (!) Ullmann stand, wurde ebenso übersehen wie das Wörtchen „staatlich“ in einigen Forderungen: Niemand bestreitet den Kirchen, von ihren Mitgliedern Beiträge in Höhe von neun Prozent (oder meinetwegen 90 oder 900 Prozent) der Einkommensteuer zu fordern, Pfarrer in Kasernen zu schicken oder ihren Nachwuchs in ihren Lehren zu unterweisen, kritisiert wird einzig die staatliche Organisation – und vor allem die Finanzierung all dessen. Der von den Kirchen beklagte Kirchenhaß äußert sich in nichts anderem als darin, von den Kirchen zu verlangen, ihren Kram gefälligst selbst zu erledigen – und vor allem zu bezahlen.
Das bisherige Programm war auch nicht kirchenkritisch, da es inhaltlich zu den Kirchen überhaupt nicht Stellung bezogen hat. Daß die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche irgend etwas mit Kirchenkritik zu tun habe, ist zwar ein – auch unter Kirchengegnern – weitverbreiteter Irrtum; die Forderung nach Trennung ist jedoch von den Inhalten völlig unabhängig – selbst wenn die Kirchen in allen Punkten untadelig und über jede Kritik erhaben wären, würde dies an den Forderungen nach Trennung von Staat und Kirche nichts ändern –, denn die Weltanschauungsfreiheit und das daraus resultierende Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates verweisen Fragen der Religiosität in die Privatsphäre – wie dies übrigens in überwältigender Deutlichkeit gerade der von den Kirchen zu Unrecht immer wieder als Kronzeuge zitierte Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde betont. Fragen der Religiosität können nicht Gegenstand der politischen, sondern allenfalls der gesellschaftlichen Diskussion sein. So notwendig also Kirchenkritik im gesellschaftlichen Rahmen ist und so wichtig eine Auseinandersetzung mit Religion(en) und Religionskritik in einem LER-ähnlichen Schulfach gerade für Schüler wäre – Religionsfreiheit bedeutet eben auch Freiheit der Kirchen von staatlicher Einmischung. Weder Staat noch die Parteien haben zu innerkirchlichen Fragen Stellung zu nehmen oder Fragen des Glaubens oder der Liturgie zu erörtern. (Auch in einem LER-Fach könnte Religionskritik nur als mögliche Position referiert, nicht als wahr gelehrt werden.) Der Staat kann – und muß – eingreifen, wenn durch religiöse Regeln Außenstehende oder Wehrlose gefährdet werden (Stichwort Bluttransfusionen bei Kindern der Zeugen Jehovas etwa), mehr aber nicht. Dieselbe verquere Logik, die eine allgemeingesellschaftliche Bedeutung der Kirchen postuliert, führt auch zu dem Irrtum, für diese Kirchen gälten die staatlichen Normen des Grundgesetzes. Das tun sie aber nicht, denn das Grundgesetz gilt nur für den Staat, für die Kirchen aber die Bibel. Wer kirchliche Lehren am Grundgesetz mißt, verletzt die Religionsfreiheit nicht weniger, als wer kirchliche Lehren zum Maßstab für Andersdenkende erhebt.
Nun gibt es, auch dies ist unbestritten, auch Christen mit vernünftigen Ansichten und in gewissen Bereichen, zum Beispiel Fragen des Asylrechts und der Sozialpolitik, Übereinstimmungen zwischen kirchlichen und grünen Positionen. Und sicher ist es sinnvoll und notwendig, um der Sache willen in diesen Bereichen mit kirchlichen Gruppierungen und vielleicht sogar den Amtskirchen zusammenzuarbeiten, und es hätte wohl kaum jemand Einwände, wenn an den entsprechenden Stellen des Programms dies auch betont und die Kirchen gewürdigt würden.
Allein die Politik von Frau Nickels geht darüber weit hinaus. Denn in dem neuen Programmentwurf stehen die positiven Urteile über kirchliche Gruppen eben nicht in den Kapiteln Asyl und Soziales, sondern in dem Abschnitt über Kirchenpolitik. Die Weltanschauungsfreiheit wird überhaupt nicht mehr erwähnt, und legitime Forderungen werden nicht mehr aus den Rechten Andersdenkender abgeleitet, sondern nur noch quasi „entschuldigt“ mit dem Hinweis, daß auch innerhalb der Kirchen Befürworter gefunden werden können. Damit tut man zwar den Empfindlichkeiten jener Christen Genüge, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn man mit ihnen nur um der Sache willen zusammenarbeitet, ihre Religion jedoch ihre Privatangelegenheit sein läßt. Den Nichtchristen allerdings gibt man zu verstehen, daß ihre Interessen nicht Gegenstand grüner Politik sind und sie doch bitte nicht das Friede-Freude-Eierkuchen- Einvernehmen mit den Kirchen stören mögen. Das ist mehr als nur ein Schmusekurs gegenüber den Kirchen, das ist ein Tritt in den Hintern für Nichtchristen.
Allerdings ist dieser Tritt die durchaus konsequente Fortsetzung der bisherigen Politik von Frau Nickels, die in den letzten vier Jahren keinen Handschlag für die Umsetzung dieses Programmpunktes getan, sondern sich statt dessen lieber als kirchenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion in innerkirchliche Angelegenheiten eingemischt hat, die weder den Staat noch die Parteien etwas angehen, so zum Beispiel in der (thematisch völlig innerkirchlichen!) Presseerklärung 0860 97 vom 10.10.97. Nickels verletzt somit systematisch nicht nur die Religionsfreiheit (Freiheit von Religion) der Nichtchristen, sondern auch die Religionsfreiheit (Freiheit der Religion) der Kirche, die in diesem Fall Freiheit von staatlicher Einmischung bedeutet.
Es sei Frau Nickels zugestanden, daß sie durchaus gutgemeinte Absichten verfolgt und ihr eigentliches Interesse einer Reform ihrer Kirche gilt. Nur leider übersieht sie dabei, daß zum einen die von ihr so geschätzten christlichen Gruppierungen innerhalb der Kirchen nur unbedeutende Oppositionsgruppen sind und die machtversessenen Amtskirchen sich den Teufel um Nickels scheren werden, wenn erst mal die Grünen auf Kurs getrimmt sind, zum zweiten ihr sinnloser Kniefall vor den Klerikern auf der anderen Seite Nichtchristen verprellt – daß sich diese, die für die Grünen ein wesentlich ergiebigeres Wählerpotential bieten, vor den Kopf gestoßen fühlen könnten, macht ihr offenbar keine Sorgen – und zum dritten ihr gutgemeintes Anliegen illegitim ist, denn so „heilig“ ihr Art.3 Abs. 2 GG im staatlichen Bereich sein mag – in der Kirche gilt 1. Kor. 14,34 („Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sie sollen untertan sein, wie auch das Gesetz sagt“). Als Katholikin mag sie dies kritisieren, als Repräsentantin der Grünen hat sie zu schweigen.
Grotesk ist allerdings, daß Frau Nickels als Störenfriede zwar „Sprücheklopfer“ wie den Landtagsabgeordneten Daniel Kreuz wahrnimmt, der das christliche Abendmahl mit Rauschmitteln in Verbindung gebracht hat (weil Wein nun mal Akohol enthält), nicht jedoch Sprücheklopfer wie den Kardinal Meisner, die Atheisten mit Kannibalismus in Verbindung bringen, und nun fordert, Herrn Kreuz an die Kandare zu nehmen, um Herrn Meisner nicht zu erschrecken, nicht aber umgekehrt. [...] Christian Brücker, Mitglied der
Landesarbeitsgemeinschaft
„Trennung von Staat und
Kirche“ B'90/Grüne, NRW
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