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Kreativer Alkohol: Auf den Spuren Henri Nannens Von Wiglaf Droste

Zuweilen, wenn man innehält in den Freuden der Schreibarbeit, fragt man sich besorgt: Wie wird es weitergehen in Zukunft? Was macht eigentlich der Nachwuchs? Wer sind die Schreiber von morgen? Exakt diese Fragen beschäftigten mich, als – o wundersame Fügung! – an einem Abend im Oktober folgender Brief aus meinem Faxgerät ratterte:

„Sehr geehrter Herr Droste, wir, 18 junge Journalistinnen und Journalisten der Henri-Nannen- Schule, erstellen im Rahmen unserer Ausbildung eine Übungszeitschrift, die den Titel ,HNS-Magazin‘ trägt. Es handelt sich um eine monothematische Zeitschrift rund um den ,Treibstoff Alkohol‘.

Innerhalb des Ressorts Kultur möchten wir eine Umfrage unter Künstlern und Journalisten veröffentlichen, die einen Einblick in das Spannungsverhältnis von Alkohol und Kreativität gibt. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich die Zeit nehmen könnten, die folgenden Fragen zu beantworten:

1. Was ist Ihr alkoholisches Lieblingsgetränk?

2. Wann und warum trinken Sie?

3. Haben Sie Trinkrituale?

4. Belohnen Sie sich manchmal mit Alkohol?

5. Stimuliert oder blockiert Alkohol Ihre Kreativität? Inwiefern?

6. Erinnern Sie sich an Situationen, bei denen Sie getrunken haben, obwohl Sie eigentlich nicht wollten?

7. Gibt es Erfahrungen, die mit Alkohol zusammenhängen, die Sie gerne aus Ihrem Leben streichen würden?

8. Wie sieht der Morgen danach aus?“ (Ende der Befragung)

Zu was, fragte ich mich, werden die jungen Menschen ausgebildet an der Henri-Nannen-Journalistenschule von Gruner und Jahr in Hamburg? Zu Offizieren der Heilsarmee? Zu Polizeiinspektoren in der Behörde von Pastor Gauck?

Weil man aber nachsichtig und duldsam sein soll mit den jungen Pferden, schrieb ich eine wohltemperierte Antwort:

Liebe Schülerinnen und Schüler der Henri-Nannen-Schule, vielen Dank für Ihr Fax. Ich kann gut verstehen, daß gerade anstehende Journalistinnen und Journalisten etwas über die journalistische Hauptdisziplin Trinken erfahren möchten; um so erstaunter, ja entsetzter bin ich darüber, daß dieses Fach an der Henri-Nannen-Schule offenbar nicht gelehrt wird. Erlauben Sie mir bitte deshalb folgenden Rat: Wenn niemand an Ihrer Schule Sie das Trinken lehren will, leeren Sie die Becher auf eigene Faust! Eigeninitiative ist – gerade im Journalismus – eine Kardinaltugend. Erforschen Sie, wie es einst der große Aldous Huxley tat, die Pforten der Wahrnehmung im Selbstversuch!

Sie werden Herrliches – aber auch Schreckliches – entdecken, viel über sich selbst erfahren und lernen, die Dinge ganz neu zu betrachten. Wie sagte schon Theo Sommer von der Zeit so richtig: Wer einmal frühmorgens nackt in einer Damentoilette aufgewacht ist, sieht die Welt mit anderen Augen.

Diesen klaren Blick wünsche ich auch Ihnen.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich zwischen all den Gelagen unter meinem Schreibtisch nicht dazu komme, Ihre vielen Fragen en detail zu beantworten.

Immer auf Ihr Wohl!

Herzlich, Ihr

Wiglaf Droste

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