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Schnell mal runtergespült

■ Unterwegs eingeworfen: „H, Remis, Polas und Libris“ / Zug-Klos als Fixerraum / Ein Ausflug in den giftigen Feierabend Mit Markus Scholz

„Pumpen, Pumpen, wer braucht Pumpen?“ Jesus schwimmt, mit der einen Hand sein blaues Hollandrad schiebend, mit der anderen sein Schoßhündchen im Zaum haltend, im Strom der Murmler auf und ab. Hauptbahnhof, Ostseite, Markt der Möglichkeiten: „THC, THC“, oder „Valium, Schweizer Roches“ oder „Wem haben Captagon?“ Angebot und Nachfrage regeln sich kaum hörbar im Strom der Bahnreisenden. Die Händler sind jung, gesund und unauffällig.

Aus der gleißenden, sommerlichen Hitze des Vorplatzes in die Kühle des Nahverkehrszuges nach Ahrensburg. Abfahrt in zehn Minuten, der Zug ist leer. Da springt knallend die Saloontür auf und sporenklirrend betritt festen Schrittes Django den Raum. Zielstrebig steuert er die Zugtoilette an, die Tür kracht in den Rahmen. Drei Minuten später der Abgang. Django will nicht Bahnfahren.

Von jetzt an wird die Toilette zum beliebtesten Platz des Zuges. Als erster kommt ein Gymnasiast. Auf dem Heimweg in den Wohlstand gönnt er sich einen kleinen Stopp in der Örtlichkeit, die wohl schon öfter Schutzraum seiner Heimlichkeiten war – Zigaretten rauchen, Pornos glotzen und jetzt drücken. Der nächste ist Parka, der überall Gefahr wittert: Zivis, Kontros, Bullen. Er geht auf Nummer Sicher, bevor er sein Depot aushebt, für das er bei Django oder einem anderen bezahlt hat. Fünf lange Minuten steht er zitternd am Kopfende des Waggons, den Mittelgang überblickend, bis er sich sicher fühlt. Aber dann sitzt jeder Handgriff: Colabüchsenboden mit Feuerzeug erhitzen, den Stoff in diesem Dritte-Welt-Kocher heiß machen, aufziehen, reinpumpen. Nächster Auftritt: Jammer. Käsig, schwitzend, schwankend, ist ihm alles egal. Bis Ahrensburg bleibt das Paradies besetzt.

Und dann die Waggontür, wie im Einkaufszentrum: Ziehen oder drücken? Warum geht sie nicht auf? Das ist Colas Moment. Mit der Lässigkeit des Profivorortzugnutzers gelingt es ihm einhändig, die offene Dose in der Faust, die Tür zu entriegeln, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Man weiß ja nie, wenn man an die Bullen gerät, muß man den Stoff schnell runterspülen können. Mit seinem Kumpel Sprite schiebt er zum Ausgang: „Ist hier heute'ne Versammlung, oder was?“ Aus einer Nische tritt ein Kunde Cola halb in den Weg, spricht ihn an, unterwürfig, vertraulich. Auf dem Vorplatz warten drei smarte Jungs, sonnenbankbraun, mit zwei lebenden Barbiepüppchen in ihren Mittelklasse-Cabrios. Mann kommt kurz zusammen, versteht sich, die Cabrios düsen ab. Cola und Sprite federn in den Imbiß, und ich radle der untergehenden Sonne entgegen zu meinem Feierabendbier.

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