: Kopflichtblicke
■ Anna Huber zeigt ihre Choreographien „in zwischen Räumen“und „brief letters“bei den independance days
In der Black Box geht ein Kopflicht an. Mit einer Stirnlampe, wie sie Ärzte und Höhlenforscher bei ihren Expeditionen in fremdes Gelände verwenden, tastet die Solo-Tänzerin Anna Huber ihren Körper ab. Lichtblicke auf Finger, Hand und Arm. Ein Körper wird entdeckt und sortiert. Doch der eigene ist es noch lange nicht. Eine Hand schlägt nicht bestellte Wellen, ein Bein beschreibt eigenwillig einen Halbkreis, ein Kopf schaut zu, als habe er damit nichts zu tun. Ein anarchisches Kauderwelsch der Glieder und Muskeln. Eine Verständigung muß her oder wenigstens etwas, was sich selbst zusammendenken kann. Und das braucht Platz. Eine Gedankengarage, wie sie auf der Bühne (Thilo Reuther) von einem kubischen Stahlkorsett markiert wird. Im Hintergrund hängt eine Pinnwand für ideelle Einkaufzettel. Im Vordergrund meißelt die Tänzerin ihre Diagonalen und Vertikalen, faltet sich somnambul zusammen und puzzelt sich an anderer Stelle wieder komplett. Jede Kreisbewegung, jeder spitzer Winkel gerinnt zur Form, jedes Stillhalten friert zum Piktogramm. Anna Huber fahndet ihrem Tanzstück in zwischen räumen, das sie am Donnerstag bei den independance days auf Kampnagel präsentierte, nach einer neuen Semantik, in der vertraute Posen nicht mehr ankern können. Der zum Warten aufgestützte Kopf rutscht ab, Arme lassen sich nicht mehr verschränken ohne den Rest in instabile Schieflagen zu kippen.
Die Tanzsolistin, die mit ihren eigenwilligen Choreographien als Shootingstar der deutschen Tanzszene gehandelt wird, besticht vor allem durch ihre filigrane Präzision und Klarheit. Vom Fingerzeig bis zur Kopfdrehung, alles reiht sich gleichwertig in die Liste ihres unkonventionellen Bewegungsalphabets. Und alles bleibt bis zum Schluß verstörend anmutig.
brief letters, das zweite Tanzsolo der in Berlin lebenden Schweizerin, ist ein sehr viel autistischeres, unterkühltes und stellenweise aggressives Protokoll eines verrutschten Dialoges zwischen Bühnenraum, Licht und vor allem der Musik von Sebastian Hilken. Von einem zellophanartigen Würfel schickt der E-Cellist seine Metalltöne aus. Mal ritzen die akustischen Stiche, ihre Initialen in den Tanz, mal umschmeichelt sie Anna Huber und ihre jetzt androide Mechanik mit mediterraner Ohrwatte. Ein Frage-Antwort-Spiel beginnt und läuft ins Leere. Und das letzte getanzte Anwortschreiben der tanzenden Mutantin – eine Sehnsuchtserklärung nach Beseelung und heimatlichem Bei-sich-sein, hat schon keine Adresse mehr.
Birgit Glombitza
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen