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Sieh dir die Schale an, Mäuschen!

Ist nach dem 1:0 über 1860 München „etwas entschieden“? Nein, natürlich nichts, Otto Rehhagel, nur daß der 1. FC Kaiserslautern deutscher Meister werden muß  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Kaiserslautern (taz) – Die Protestpostkarte von Greenpeace mit der Aufschrift „KICKEN STATT CASTOR“ gab Kaiserslauterns Torschütze Ratinho an seinen Sohn weiter. Ist auch so schön farbig! Denn der Mann, der das 1:0 in der Nachspielzeit der 1. Halbzeit auf ziemlich geniale Art erzielte, hat von den Aktionen der weltweit bekannten Umweltschutzorganistion noch nie etwas gehört. Obwohl die auch in seiner Heimat Brasilien aktiv ist, gegen das Abbrennen des tropischen Regenwaldes.

„Ich weiß gar nicht, warum unser nächstes Spiel bei Arminia Bielefeld verlegt wurde“, bekannte der auskunftsfreudige Spieler und fügte dann, belehrt über den Grund, hinzu: „Die Deutschen sind doch so anständige Leute, da brauchen wir doch gar keine Polizei zum Fußballspielen.“ Richtig, beim Spiel gegen 1860 München blieben die Grünen in Uniform ganz im Hintergrund und hatten Langeweile. Fan-Freundschaftstreffen war angesagt, zwar in gegenüberliegenden Blöcken, aber unüberhörbar. Kaum hatte Löwen-Stürmer Bernhard Winkler, der 1991 mit dem 1. FCK Deutscher Meister geworden war, in der 1. Minute eine Hereingabe in den Strafraum von Borimirov verpaßt, skandierten die Fans in Rot, der Unterstützung durch jene in Blau sicher: „Bayern ist wie eine Flasche leer!“ Was man von den Sechzigern nicht behaupten konnte. Zwar blieb es bei der einen Chance, doch dafür glänzte Torwart Bernd Meier, der manchen torgefährlichen Ball zur Ecke lenkte.

Irgendwie fühlte sich mancher Dauerbesucher auf dem Betzenberg an die Abstiegssaison des 1. FCK erinnert, als man sich leidenschaftslos 0:0 trennte und auch im Rückspiel ein Unentschieden fabrizierte. Danach ruhte die Freundschaft für ein Jahr mangels Spielpraxis. Nun aber ist die Lage umgekehrt. Die Löwen kämpfen gegen den Abstieg. Und da wunderte es doch sehr, daß schon in der 22. Minute die Fans in Weiß und Blau ihr „Löwen und der FCK“ intonierten und die Fans in Rot unvermittelt einfielen.

So wäre es sicher bis 17.15 Uhr weitergegangen, hätte nicht Ratinho seine Mobilität auf dem Spielfeld bewiesen. Der Brasilianer half in der Abwehr aus, nutzte einen Fehler von Ned Zelic, rannte weiter nach vorne und bekam den Ball von Marian Hristov in den Lauf gespielt. Anstatt die Verantwortung abzugeben und zu flanken, drang Ratinho in den Strafraum ein, ließ einen Abwehrspieler stehen und hob den Ball am verdutzten Meier vorbei ins Netz. Es war das spielentscheidende Tor.

Daß es für den 1. FC Kaiserslautern trotz des guten Spiels der Münchner schließlich reichte und er bei neun Punkten Vorsprung und der besseren Tordifferenz dem höchsten Glücksgefühl in der Bundesliga entgegen strebt – es lag am Glück der Lauterer und am Pech der Löwen. Nun können nur noch mehrere Anflüge kolossaler Dummheit der Pfälzer vierte Meisterschaft verhindern.

Aber es wurden auch Erinnerungen wach an die Meistersaison 1991, als die letzten Heimspiele zu Zitterspielen und dramatischen Aufholjagden geworden waren. Damals war es acht, neun Spieltage vor Saisonende aus gewesen mit den schönen und unbeschwerten Spielen, bei denen man nichts zu verlieren hatte. Total verkrampft und immer mit dem Blick auf die Bayern ging es auf die Zielgerade. Die Bayern waren dicht dahinter, die Spannung gesichert, während jetzt – Castor ist schuld – die große Langeweile droht, wenn die Bayern auch noch beim VfB Stuttgart patzen sollten.

Ratinho und sein Präsident Hubert Keßler bleiben aber vorsichtig, wie auch der in der Pfalz inzwischen unangreifbare Trainer Otto Rehhagel. „Ist denn heute etwas entschieden worden?“ herrschte der einen unvorsichtigen Frager an und lobte den starken Gegner. Ratinho, „das Mäuschen“, hatte sich zwar bei seiner Auswechslung gleich zweimal bekreuzigt, schränkte seine Gottesgläubigkeit jedoch hinterher selbst ein: „Ich glaube nur das, was ich sehe. Es reicht noch nicht, weil es noch acht Spiele sind, und ich hab' die Meisterschale noch nicht gesehen.“

Ratinho will, solange er lebt, solche Tore wie das 1:0 erzielen. Und vielleicht kann er ja schon nach dem letzten Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg am 2. Mai oder gar noch früher die Schale in die Höhe halten. Nach der sensationellen Meisterschaft 1991 läuft die zu erwartende des Jahres 1998 fast wie ein unwirklicher Film ab. Doch Präsidium und Aufsichtsrat tun das, was ihre Vorgänger sieben Jahre zuvor versäumten. Sie planen die Zukunft sofort, reißen die Südtribüne ab und erweitern die Stadionkapazität um 4.000 Plätze. Was das heißt, ist klar: Die Sterne der Champions League leuchten schon etwas vom höchten Berg der Pfalz.

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