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Gelbe Säcke vor dem Tag der Abfuhr Von Karl Wegmann

Draußen vor meinem Wohnzimmerfenster steht ein Baum. Ganz oben im Geäst hängt eine Plastiktüte. Sie hängt schon drei Jahre dort, trotzt jedem Wetter und knattert im Wind. Einst hat sie wohl als Tragetasche gearbeitet, jetzt macht sie seltsame Geräusche. Bei Tag und bei Nacht, egal ob die Glotze läuft oder der CD- Player, auf die alte Plastiktüte ist Verlaß: Wenn der Wind bläst, knattert sie! Anders als bei Hemingways ausgedörrtem und gefrorenem Leopardengerippe auf dem westlichen Gipfel des Kilimandscharo, von dem man bekanntlich nicht weiß, wie es dort hingekommen ist, kennt jeder hier in der Straße die Geschichte der Plastiktüte im Baum. Sie heißt kurz und knapp: Mülltrennung.

Mülltrennung in Gelben Säcken ist eine feine Sache. „Die jährliche Verteilung der Gelben Säcke an alle Haushalte ist abgeschlossen“, heißt es da stolz in unserer Lokalzeitung. „Diesmal haben die Abfallwirtschaftsbetriebe Münster 3,9 Millionen Säcke – 780.000 mehr als im vergangenen Jahr – verteilen lassen.“ Wie die Haushalte mit dieser kostenlosen Gabe umzugehen haben, ist auf jedem Sack verzeichnet. „Bitte den Gelben Sack an den Fahrbahnrand stellen: erst am Tag der Abfuhr; jedoch bis 7 Uhr“. Das mit dem Fahrbahnrand ist klar, aber „der Tag der Abfuhr“, das ist schon komplizierter. Zwar ist auf jedem Sack eine Telefonnummer gedruckt („Abfalltelefon“) und man könnte sich auch einen Abfallbeseitigungsplan besorgen, doch wozu die Mühe? Das gewöhnliche Haushaltsmitglied spült also die Joghurtbecher sorgfältig aus, putzt und scheuert Alu-Folien und -Deckel, stopft alles in den Sack und deponiert ihn am Straßenrand. Und da liegen sie dann herum. Einige wurden nicht sorgfältig verschlossen, andere sind zu voll und platzen auf. Einige werden als Fußball benutzt und reißen, andere kippen auf die Fahrbahn und werden überrollt. Dann kommt der Wind. Schon eine leichte Böe verteilt den ganze Sondermüll. Milchkartons und Safttüten allüberall, leere Körperpflegemittel-Flaschen auf den parkenden Autos und – Plastiktüten in den Bäumen. Und gerade wenn man sich an den ganzen Kunststoff in der Straße gewöhnt hat, wenn die Berge von Gelben Säcken die Sicht behindern, kommt er doch, der Tag der Abfuhr. Alles wird gut? Von wegen!

Die Hälfte der Gelben Säcke bleibt liegen. Jeder der Zurückgelassenen ist mit einem schönen grünen Aufkleber verziert. Dort ist zu lesen: „Dieser Gelbe Sack ist falsch befüllt. Er enthält Papier, Glas, Restmüll oder andere Abfälle, die nicht hineingehören. SCHADE. Der Inhalt kann deshalb nicht verwertet werden. Bitte nehmen Sie den Sack zurück. Was hinein darf, steht drauf. Danke. Ihre Abfallwirtschaftsbetriebe Münster.“ Den Sack zurücknehmen? Kommt gar nicht in Frage! Ist auch nicht weiter schlimm, denn es kommen ja sofort wieder neue hinzu, dann liegen die beanstandeten unten, und man sieht die grünen Aufkleber nicht mehr. Eine sondermüllfreie Straße ist nicht mehr vorstellbar.

Und meine alte Plastiktüte knattert immer weiter. Sie ist unerreichbar, man kann sie nicht abstellen. Ich werde jetzt Frau Björk einen Brief schreiben. Die ist doch immer auf der Suche nach seltsamen Geräuschen. Vielleicht macht sie ja aus meiner alten Plastiktüte einen Hit.

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