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Im Käfig des Krachs

■ Coax tobte und FM Einheit lärmte in der Fabrik

Gegen Ende wähnten wir uns in einem dieser Endzeit-Science-fiction-Filme. Die Tänzerinnen Rita Blunck und Karin Lechner hatten sich mit grauen Stoffpanzern dick wattiert und rannten mit voller Kraft gegen die Gitter des Käfigs an, in dem sie sich dem Publikum präsentierten. Farblich wechselndes Zwielicht. Momentweise aufflackernd ohrenbetäubender Lärm. Zwei Tänzerinnen in einem Käfig. Das Publikum vor dem Käfig auf dem Boden oder auf den kleinen Tribünen in der Ottenser Fabrik sitzend oder von der Tribüne aus von oben das Geschehen beobachtend. Die von der Hamburger freien Gruppe Coax durchgeführte Tanzperformance hatte am Samstag zum Ende hin deutlich etwas von einem Gladiatorenkampf. Assoziationen an John Carpenters Film Die Klapperschlange wurden wach.

Das war in den letzten zehn Minuten der eine Stunde dauernden Veranstaltung. Bevor wir in eine mögliche Zukunft abdrifteten, hatten wir uns noch an verschiedenen Orten gewähnt. Zuerst dachten wir, als wir die Augen schlossen, auf einer Baustelle zu sein. Das kam von dem Lärm, den FM Einheit und Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten parallel zum Tanz vollführten. FM Einheit bearbeitete ein Halteseil des Käfigs mit einem Bohrer, und das Halteseil war über ein Mikro und diversen Geräuschverfremdungseinrichtungen an diverse Lautsprecher angeschlossen. Gegen den Krach kamen die Tänzerinnen nicht an. Als wir die Augen wieder öffneten, dachten wir immer noch, auf einer Baustelle zu sein, nur daß jetzt aus irgendwelchen Gründen zwei Frauen in einem Käfig mit zuschauten.

Das war in den ersten zehn Minuten der Veranstaltung, sie begann wie ein Einstürzende Neubauten-Konzert mit zwei Go-Go-Girls. Eine Zeitlang aber glaubten wir dann aber wirklich, auf einer Tanzperformance zu sein. Das war in der Mitte. Einheit und Hacke hatten den Krach differenziert und zurückgenommen, eine einförmige Melodie breitete ihre Schwingen über den Käfig aus, und Rica Blunck und Karin Lechner erzählten in synchronen Bewegungen von Kraft und Anmut.

Dieser Teil der Performance bildete eine Zeit, in der es sich gut sein ließ. Aber es war bei weitem nicht die aufregendste Zeit. Denn über dem Tanz thronte der Lärm, die wahren Helden des Abends waren nicht Rica Blunck und Karin Lechner, sondern FM Einheit und Alex Hacke. Hacke zupfte und bearbeitete die Gitarre. FM Einheit trommelte auf dem Käfigdraht. Und in den Tiefen der Synthesizer-Prozessoren überschlugen sich die Rückkopplungen. Der beeindruckendste Raum war nicht der fünf mal fünf Meter große Käfig. Am beeindruckendsten war der Raum, den der Krach aufspannte. Eine gewalttätige, eine berstende Musik.

Die Performance von Samstag war die erste einer Reihe von Veranstaltungen, die Coax-Chefin Rica Blunck rund um den Käfig in Szene setzt. Im August und im September folgen weitere. FM Einheit und Alex Hacke werden dann nicht mehr dabeisein. Vielleicht hat dann der Tanz ja mehr Raum. Für dieses Mal gingen sie, wenn wir bei unserem Gladiatoren-Bild bleiben dürfen, als eindeutige Sieger vom Platz. Das ist natürlich was. Aber für eine Tanzperformance ist es denn eher mal nicht recht das gewünschte Ergebnis.

Dirk Knipphals

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