Glück, Champagner, Smith & Wesson II Von Joachim Frisch

Freitag abend, wieder in der Spielbank. Keiner da, der mir 21.000 Mark leiht. (Liest denn kein Mensch mit Herz diese Kolumne?) Doch ich habe Glück im Pech. Das Limit gilt nur für einfache Chancen, erfahre ich, die 21 Riesen können also gar nicht versechsunddreißigfacht werden, sondern nur verdoppelt.

Bis die Million voll ist, heißt es deshalb, Geduld üben, Rückschläge einstecken und immer wieder die Nerven beruhigen. Zu diesem Zweck lasse ich nach dem Verlust des dritten blauen Scheins den Blick schweifen, um nach illustren und berühmten Menschen zu fahnden, schließlich liest man ja in Gala ständig vom Laster des Spiels bei Fußballprofis, Schauspielern und Dichtern.

Am Tisch 1 entdecke ich tatsächlich ein bekanntes Gesicht, ich kann es aber nicht einordnen, die Erinnerung paßt nicht zur Erscheinung. Das Gesicht grüßt mich. Am linkischen Grinsen erkenne ich es, es gehört dem Sozialrevolutionär und Sponti, der mir einst die Krise des Kapitalismus und seinen zwangsläufigen Zerfall auseinandersetzte. Sein einst zotteliges Haupthaar ist einer polierten Glatze gewichen, sein Gesicht rund wie das eines dicken Babies geworden. Mit seiner rosigen, straffen Haut und seinem Kassengestell sieht er wie ein ewiger neunmalkluger Musterschüler aus. An der Bar stelle ich ihn zur Rede:

„Du ausgerechnet hier, wo Kapital, Profit und Ausbeutung zu sich selbst finden, in der Vorhölle des lupenreinen Kapitalismus?“

„Von wegen Vorhölle, ha! Das hier ist die Sondermülldeponie des Kapitals. Hier ist der Kapitalismus Karikatur seiner selbst, der letzte Ort, an dem ein Revolutionär noch Genugtuung findet. Nur hier hat er überlebt, der Traum vom Untergang des kapitalistischen Systems, von seinem zwangsläufig selbstdestruktiven Charakter, nur noch hier schwelen Schlackenreste revolutionärer Glut.“

„Hä?“

„Hier macht das Kapital sich über sich selbst lustig. Jede Kommunikation, die über den Zweck der Organisierung des Werttauschs und der Profitsteigerung hinaustreibt, ist verstummt. Schau dich um: eine Ansammlung bedauernswerter Kreaturen, jede kämpft einsam um die schnelle Mark, bürgerliche Existenzen zerbröseln, Hoffnungen auf bessere Leben versinken im Sumpf der Spielleidenschaft.“

„Aber gerade sagtest du doch...“

„Dabei beherrscht allein die Spielbank die kapitalistische Regel der systematischen risikoreduzierten Profitmaximierung und führt die aufgeblasenen Salonkapitalisten wie Tanzbären an den Nasen herum. Glücksspiel ist ein Atavismus, der alle Metamorphosen des bürgerlichen Systems überlebt hat, im Grund aber den feudalen, also präkapitalistischen Prinzipien Willkür, Verschwendung und Planlosigkeit gehorcht. Der Spieler ist die anachronistische und naive Version des Aktionärs, Hofnarr des Kapitals.“

Ganz unvermittelt beugt er sich plötzlich zu mir rüber und spricht nun mit tiefer und sanfter Stimme: „Kannst du mir unter Umständen mit 50 Mark aushelfen – oder besser 200? Ich hab' noch was zu kriegen, bin nur gerade nicht flüssig. Spätestens Dienstag kann ich dir 500 zurückzahlen, nächsten Freitag eventuell 2.000, falls du im Moment soviel da hast.“