Sachertorte und Heuriger für die EU

Mittwoch übernimmt Österreich erstmals den EU-Ratsvorsitz. Die Österreicher hoffen auf Fortschritte beim Schutz vor Gen-Food und in der Verkehrspolitik  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Wie nahe Europa ist, das mußten die Österreicher gerade erfahren. Wenige Tage bevor das Land am Mittwoch erstmals den Ratsvorsitz der Europäischen Kommission übernimmt, wurden EU-Inspektoren bei der Kontrollbank und sieben österreichischen Geschäftsbanken vorstellig, um die Buchführung der letzten Jahre zu durchwühlen. Die Fahnder suchten Hinweise auf verbotene Kartellabsprachen der Banken über Zinssätze. Beweise fanden sie keine. Just bevor am 1.Juli auf dem Wiener Heldenplatz mit einem live nach ganz Europa übertragenen Riesenspektakel die Europaverbundenheit demonstriert werden soll, verstärkte sich so der Eindruck unter den Österreichern, daß der Krake Brüssel sich inzwischen überall einmischt.

Die Politiker müssen sich immer häufiger die Frage gefallen lassen, ob es nicht an der Zeit wäre, daß Österreich seine Interessen in der EU geltend macht. Die hohen Standards beim Umweltschutz und die Restriktionen des Transitverkehrs mußten bereits dem Binnenmarkt geopfert werden. Wegen der hohen Brenner-Maut hat Österreich eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof am Hals. Das Importverbot für genmanipulierten Bt-Mais von Ciba Geigy/ Novartis hat Proteste der Freihandelsideologen ausgelöst. Der Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 1998 wäre die Gelegenheit, mit grüner Politik Brüssel einen österreichischen Stempel aufzudrücken.

Doch große Initiativen sind nicht zu erwarten. Das Semester ist so vollgepackt mit Pflichtthemen, daß wenig Platz für zusätzliche Anliegen bleibt. Außenminister Wolfgang Schüssel, der seit einer Woche von Hauptstadt zu Hauptstadt jettet, um das Programm für die kommenden Monate abzustimmen, hofft, daß „viel geschieht aber nichts passiert“. Man will versuchen, Blamagen zu vermeiden, wie sie Tony Blair unterliefen, der sich etwa auf die Frage der Ernennung des Europäischen Zentralbankchefs nicht vorbereitet hatte. Die Folge war ein offener Streit um die Besetzung des Postens.

So klingen die offiziellen Verlautbarungen eher danach, daß die Wiederbelebung des in die Krise geschlitterten Fremdenverkehrs Hauptziel des neuen Ratsvorsitzenden ist. Jedes Bundesland wird im Laufe der sechs Monate mindestens einmal Schauplatz einer informellen Ministerratstagung sein. Ein informelles Treffen der Landwirtschaftsminister ist für September in Helmut Kohls Urlaubsort St. Wolfgang anberaumt. Ein Konzert jagt das andere. Beamten und Journalisten soll der Heurige (Wein) und die österreichische Küche nahegebracht werden. Die geschätzten Ausgaben von 300 Millionen Schilling (rund 43 Millionen Mark) dürften sich via Steuern amortisieren. In Wien allein wird mit 150.000 zusätzlichen Übernachtungen gerechnet.

In der Substanz, kritisieren Oppositionspolitiker, sei die Regierung unvorbereitet. Im Kosovo brennt es, Österreich wäre dank der Geschichte der K.u.K.-Monarchie als Vermittler im Namen der EU prädestiniert, doch man überläßt die Initiative den USA. Bei der Osterweiterung gehört das Land trotz gemeinsamer Grenzen mit drei der Kandidaten zu den Bremsern. Das kann peinlich werden, wenn in den nächsten Monaten die Vorverhandlungen für die erste Erweiterungsrunde fortgesetzt werden. Ein besonders großer Brocken wird die Agenda 2000, die auf dem Gipfel in Wien am 11. und 12. Dezember weitgehend unter Dach und Fach sein soll. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um große Reformen im Agrar- und Strukturbereich, die die Union für die Erweiterung vorbereiten sollen. Ziel ist es, in den teuersten Bereichen die Ausgaben so zu reformieren, daß die Osterweiterung keine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge erfordert. In der Agrarpolitik bedeutet das eine radikale Reform der Subventionspolitik.

Das Ministerium für Konsumentenschutz will bei der Revision der Richtlinie für die Produktzulassung darauf drängen, daß ökologische Bedingungen stärker berücksichtigt werden. Die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch manipulierte Substanzen soll auch auf Zusatzstoffe von Lebensmitteln ausgedehnt werden. Hauptziel bei den Verhandlungen sei es, den Kern der Richtlinie zu halten. Man könne, so heißt es im Ministerium, mit einer harmonisierten Regelung rechnen.

Eigene Akzente will Österreich in der Entwicklungspolitik setzen, kündigte Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner an. Zunächst soll das Lomé-Abkommen neu verhandelt werden, bei dem es darum geht, die Zusammenarbeit der EU mit den 71 Staaten Afrikas, der Karibik und der Pazifikregion (AKP- Staaten) mit den Freihandelsgeboten der WTO kompatibel zu machen. Außerdem soll Tourismus, Konfliktprävention und Koordination mit dem südlichen Afrika Priorität genießen. Mitte Oktober ist das Parlament in Wien Gastgeber einer Konferenz über die Auswirkungen der Globalisierung auf das südliche Afrika.