piwik no script img

Manche Szenen bleiben ewig

Mijatović verschießt einen Elfmeter, Jugoslawien verliert im Achtelfinale mit 1:2 gegen die Niederlande, und Trainer Slobodan Santrać hat eine Erklärung  ■ Aus Toulouse Ralf Mittmann

Die meisten der jugoslawischen Fußballer haderten mit dem Schicksal. Von Millimetern und Sekundenbruchteilen war die Rede in Toulouse nach dem mit 1:2 verlorenen Achtelfinale gegen Holland. Millimeter und Sekundenbruchteile, die gegen Jugoslawien entschieden hätten. Es war die alte Geschichte um die vielen Wenns und Abers, für die der deutsche Volksmund einen treffenden Spruch parat hat: Der Hund hätte den Hasen erwischt, wenn er nicht gerade sein Geschäft verrichtet hätte.

Im Geschäft mit dem runden Leder wird die Erkenntnis, daß man nach dem Schlußpfiff nichts mehr ändern kann und einem folglich gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als die Niederlage hinzunehmen, gerne in diesem einen Satz ausgedrückt: So, sagen sie dann, die Experten, so ist eben der Fußball.

„So ist eben der Fußball“, sagte auch Jugoslawiens Trainer Slobodan Santrać, der das Klagen seiner Spieler zwar verstehen, es aber nicht mit ihnen teilen mochte. Natürlich hätte es anders, besser ausgehen können, wenn Mijatović in der 53. Minute den Elfmeter nicht an die Unterkante der Latte, sondern ins Netz gesetzt hätte. Es wäre das 2:1 für Jugoslawien gewesen, nur 100 Sekunden nach dem Ausgleich durch den für Duisburg kickenden Komljenović, und das hätte den Holländern ja durchaus einen Schock versetzen können. Und wäre die Partie in die Verlängerung gegangen, ein einziges, das Golden Goal hätte ja auch den Jugoslawen glücken können.

So ist der Fußball – wie ist der Fußball? Santrać ärgerte sich über das entscheidende Tor der Holländer durch Davids nach eineinhalb von vier angekündigten Nachspielminuten, aber er hatte auch eine Erklärung dafür. „So etwas passiert nur Mannschaften, die ihre Konzentration nicht halten können“, sagte Santrać, „und wenn die Konzentration verloren geht in einer solch wichtigen Situation, dann hat das meist etwas mit Ermüdung zu tun.“

Zweimal hintereinander hatten die Jugoslawen bei Eckbällen geschlafen. Erst durfte Overmars ungestört schießen, und nachdem Torsteher Kralj den Ball gerade noch um den Pfosten gedreht hatte, kam nach dem nächsten Eckball die Kugel zu Davids, der sich 20 Meter vor dem Tor geradezu eingeladen fühlen mußte zum goldenen Schuß. Damit das Maß der jugoslawischen Ungeschicklichkeiten voll wurde, mißlang Komljenović auch noch der Rettungsversuch. Ihm sprang das Leder gegen das Knie, und wenn es dadurch auch nur unmerklich seine Flugbahn veränderte, so doch genug, daß der wie schon beim ersten Tor durch Bergkamp (38.) schlecht aussehende Kralj das Pech des Kameraden als Grund anführte für den eigenen Fehlgriff.

Sie haderten mit Millimetern und Sekundenbruchteilen, gingen am Ende aber doch gefaßt. Kapitän Dragan Stojković, seinen fünfjährigen Sohn Marco an der Hand, war bei aller Enttäuschung Manns genug für das Eingeständnis, „daß mit Holland das stärkere Team gewonnen hat“. Es habe sich eben auch gezeigt, daß Jugoslawiens Fußball nach der langen Abstinenz von der internationalen Bühne Defizite habe, an Erfahrung, aber auch an personeller Besetzung. Müde sah Stojković aus, aber doch irgendwie zufrieden, daß es für ihn nach der WM 1990 in Italien und den politischen Wirren danach doch noch einmal eine Weltmeisterschaft gegeben hat. Das wenigstens.

Nur einer im Troß der Jugoslawen sah aus, als habe er in eine Zitrone gebissen. Predrag Mijatović fühlte sich elend, weil er den Elfmeter verschossen hatte. Als möglichen Superstar dieses Turniers hatten Experten ihn vorher gehandelt, doch nicht einmal annähernd war er den Vorschußlorbeeren gerecht geworden. Und nun auch noch das Malheur von Toulouse. „Der Elfmeter, das war der schwierigste Augenblick meiner Karriere“, meinte Mijatović, und sein Gesicht verriet, daß er diesen Augenblick so schnell nicht vergessen wird. „Ich muß das verarbeiten, ich muß es hinter mich bringen“, sagte er, „irgendwie.“

Auch so ist Fußball. Manche Szenen bleiben ewig, und nicht immer sind es nur die guten.

Jugoslawien: Kralj – Komljenović, Djorović, Mihajlović (79. Saveljić), Petrović – Mirković, Jokanović, Stojković (57. Savićević), Jugović – Mijatović, Brnović

Zuschauer: 33.500; Tore: 1:0 Bergkamp (38.), 1:1 Komljenović (48.), 2:1 Davids (90.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen