„Monstrum Bavaricum“ oder Wie reich ist der Kanzler? (1) Von Stefan Kuzmany

Der Anrufer klingt gehetzt. Ich solle sofort kommen. Gut. Ein Hamburger Villenvorort gegen halb zehn Uhr am Abend. Strömender Regen. Hausnummern absuchen. Hier ist es nicht. Aber hier.

[Wichtig: Haben Sie sich schon einmal Gedanken über das Privatvermögen unseres Bundeskanzlers gemacht? Notieren Sie jetzt Ihre Schätzung. Zeigen Sie sie niemandem. Vertrauen Sie keinem. Wir kommen später darauf zurück.]

„Wie sind Sie hergekommen? Mit der S-Bahn? Gut. Sie hätten sonst einen Unfall gehabt. Wollen Sie einen Kaffee?“ Professor Raaki, Philologe in den Sechzigern, bewohnt ein großes Haus, dessen Wohnzimmer mit hohen Papierstapeln dekoriert ist. Ich darf auf einem bequemen Sessel Platz nehmen. Während wir uns unterhalten, springt mein Gastgeber unruhig umher, greift sich hier einen Zeitungsausschnitt, dort eine Kopie, überfliegt, ordnet neu, drückt mir ein Blatt in die Hand und nimmt ein anderes wieder an sich. Ich darf nur lesen. Er ist vorsichtig: Über vierzigmal wurde bei ihm eingebrochen. Einen Giftgasanschlag hat er überlebt. Die Post kommt immer zu spät. Alle Telefonate werden abgehört. Seinem Rechtsanwalt wurde die Vorfahrt genommen. Die Sache ist brisant, aber noch unklar.

Im Haus, sagt Professor Raaki, können wir nicht reden: „Sie sitzen im Garten auf den Bäumen. Mit Richtmikrofonen. Vibration der Fensterscheiben, Sie verstehen?“ Klar. Also keine Namen. Nur soviel verrät Raaki: In unserem Land treiben sich Bundesverfassungsrichter mit falschen Namen und echten Dienstausweisen herum. Sie tarnen sich als Prozeßbeobachter und handeln im Auftrag des inzwischen verstorbenen „Monstrum Bavaricum“. Es geht um viel Geld und schlimmste Regierungskriminalität. Ein Richter wurde bereits geköpft, weil er auspacken wollte. Und das Bundesverfassungsgericht darf sich nicht mit der Sache beschäftigen.

„Vielleicht doch einen Kaffee?“ Raaki springt auf, und reicht ein Blatt Papier herüber. Darauf: Dr. Helmut Kohl (CDU), seine Frau Hannelore, dazu ein mir gänzlich unbekannter Mann. Professor Raaki ist fast aus dem Raum, spricht aber hektisch weiter: „Ich darf Ihnen das nur kurz zur Abwechslung geben, daß Sie sich ein paar Gedanken machen. Wie reich ist der Bundeskanzler?“

Tja, wie reich ist der Bundeskanzler? Man denkt ja viel, aber darüber habe ich noch nie nachgedacht. Was wird Professor Raaki mit mir machen, wenn ich eine falsche Antwort gebe? Draußen ist es schon dunkel. Es regnet immer heftiger. Durch die Terassentür – das wäre ein schneller Fluchtweg. Aber draußen sitzen sie auf den Bäumen. Professor Raaki steht plötzlich wieder im Raum. Mit einer Tasse Kaffee. Offenbar will er sie mir nicht geben, bevor ich mich nicht befriedigend über die Vermögensverhältnisse des Kanzlers geäußert habe. Unverwandt blickt er mich an. Ich schwitze. „Ein kleiner Tip: Der Herr mit den Augenbrauen hat ein Privatvermögen von 12,5 Milliarden Mark.“

„Na ja, wenn der W...“ – „Keine Namen!“ – „Also, ich schätze mal, der Kanzler hat mindestens dreimal soviel.“ Raaki lächelt. Ich liege offenbar gar nicht so falsch. „Gut. Trinken Sie Ihren Kaffee. Wir machen einen kleinen Spaziergang.“ Vorsichtig nippe ich. Wahrscheinlich vergiftet. (Wird fortgesetzt)