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Geld oder Leben“ – veraltete Alternative –betr.: „Es muß ein Recht auf Faulheit geben“, taz vom 2. 11. 98

Lafargues Forderung nach einem Recht auf Faulheit als (zwar aktuell, aber doch) überholt abzutun, ist nicht nur historisch falsch, sondern gerade angesichts der hohen Massenarbeitslosigkeit und der damit verbundenen Stigmatisierung und Ausgrenzung von Arbeitslosen politisch fatal.

Ein Bruch mit der unhinterfragten Ideologie des Wachstums und der Arbeit (von PDS bis DVU heißt es „Arbeit her!“) und eine offensiv-trotzige Theoretisierung der Erwerbslosensituation würde für das Selbstbewußtsein der Arbeitslosen, sowohl als Masse, wie auch als individuelle Randexistenz mehr bringen, als weitere ABM-Psychopharmaka. Mehr noch: unter der Prämisse sozialökonomischer Perspektiven wie der 20/80-Gesellschaft führt ein Festhalten an eben jener Arbeitsideologie und am Bekenntnis zu Vollbeschäftigung notwendig zu einem Kollabieren der Gesellschaft an diesem Widerspruch.

Seit Beginn der industriellen Revolution ist eine immer kleinere Zahl ArbeiterInnen zur Sicherung eines immer höheren Lebensstandards nötig. Das hat schon zu Marxens Zeiten zu „industriellen Reservearmeen“ geführt, und auch „Produktionsteams“ sind natürlich keine Erneuerung in dem Sinne, daß damit ArbeiterInnen zu Selbstausbeutern würden, sondern stellen lediglich eine neue Methode zur Optimierung des Arbeitsprozesses, ergo zur effektiveren Ausbeutung der Arbeitenden dar (die sogenannte „Selbstbestimmtheit“ äußert sich in der Praxis in Belohnungen für arbeitssparende Innovationen der ArbeiterInnen, diese rationalisieren sich also selbst weg).

Die Befreiung von der Mühsal der Arbeit war immer auch erklärtes Ziel und Utopie der Industrialisierung. Recht auf Faulheit muß heute also heißen, die von vergangenen Generationen ArbeiterInnen und WissenschaftlerInnen geschaffenen Bedingungen eines Reichs der Freiheit wahrzunehmen und aus den, auf der Basis der Produktivitätsentwicklung gewachsenen Möglichkeiten, Tatsachen zu schaffen. Das heißt: die veraltete Alternative von „Geld oder Leben“ zu entkoppeln. Benjamin Adamczak, Nauheim

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