: Friedensbewegung kritisiert Bundesregierung –betr.: „Friedenspolitischer Ratschlag“ in Kassel am 5./6. 12. 98
Ich bedaure sehr, daß sich die Beratungen und Diskussionen der Friedensbewegungen kaum noch in der Berichterstattung der taz wiederfinden. Am vergangenen Wochenende zum Beispiel trafen sich über 250 Friedensaktivist/innen aus allen Teilen der Bundesrepublik zu einem „Friedenspolitischen Ratschlag“ in Kassel. Nicht relevant für die taz?
Dieses Mal befaßten sich die Teilnehmer/innen im Dialog mit zahlreichen Friedenswissenschaftler/innen mit aktuellen Problemen der Außen- und Sicherheitspolitik – von der atomaren Bedrohung bis zum Kurdenproblem reichte das Spektrum der Themen.
Große Enttäuschung herrscht in der Friedensbewegung über die neue Bundesregierung. Die Sicherheitspolitik, so der Tenor des Kongresses, steht ganz in der Kontinuität der abgewählten Bundesregierung.
Kritisiert wurde unter anderem, daß die Bundesregierung weiterhin Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland für möglich halte und daß sie alle großen Rüstungsprojekte weiterführe, darunter auch den Eurofighter 2000, den SPD und Grüne vor der Wahl stets abgelehnt hatten. Mit dem planmäßigen Aufbau von „Krisenreaktionskräften“ und dem „Kommando Spezialkräfte“ verschaffe sich die Bundeswehr eine „strukturelle Angriffsfähigkeit“.
Dagegen will die Friedensbewegung mit einem eigenen abrüstungspolitischen „Sofortprogramm“ im kommenden Jahr initiativ werden. Da die Nato im Augenblick eine faktische 2:1-Überlegenheit gegenüber den in Europa übriggebliebenen potentiellen „Gegnern“ (Rußland und Weißrußland) habe, könne auch die Bundeswehr ohne große Probleme auf die Hälfte des gegenwärtigen Bestandes abgerüstet werden. Mit einer entsprechenden Petition will sich die Friedensbewegung damit auch im Bundestag Gehör verschaffen.
Kritik wurde auch an der bevorstehenden Verabschiedung einer neuen Strategischen Konzeption der Nato geübt. Die neue Strategie sieht vor, daß die Nato auch ohne UNO-Beschluß jederzeit in allen Krisengebieten der Welt eingesetzt werden kann. Den Nato-Politikern und ihren Militärs geht es mit ihrer Strategie offenbar um nichts anderes als um die Absicherung der wirtschaftlichen Dominanz der reichen Staaten über den Rest der Welt. Die Friedensbewegung kündigte gegen den Jubiläumsgipfel der Nato im kommenden April Protest und Widerstand an.
Auf der Agenda der Friedensbewegung steht außerdem der Kampf gegen die Atomwaffen. Dabei gehe es nicht nur um den längst überfälligen Verzicht auf die atomare Ersteinsatz-Doktrin – worauf Außenminister Fischer aufmerksam gemacht hat –, sondern es geht um die Abschaffung aller Atomwaffen. Der „Friedensratschlag“ wird als Teil der weltweiten Bewegung „Abolition 2000“ an dieser Aufgabe arbeiten.
Die Internationalisierung der Friedensbewegung wurde unter anderem dadurch unterstrichen, daß es zu gemeinsamen Verabredungen mit in Kassel anwesenden Vertretern der Friedensbewegungen aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich und Japan kam. So will man die nächsten Ostermärsche, die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Gedenktage zu den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki (6. und 9. August) für transnationale gemeinsame Aktionen nutzen. [...] Peter Strutynski, Kassel
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