Kommunikationstalent mit Familiensinn

Die Politologin Gesine Schwan will Präsidentin der Berliner Freien Universität werden. Leidenschaftlich plädiert die Professorin für demokratische Offenheit und hält an der politischen Aufgabe einer Hochschule fest, die nach 50 Jahren allmählich erwachsen wird  ■ Von Ralph Bollmann

Selbst in der größten Menschenmenge ist Gesine Schwan nie zu übersehen. Unaufhörlich redend, die Haare wild zerzaust, signalisiert sie ungebremsten Tatendrang. Die abgenutzte Formel, jemand könne „mit Menschen umgehen“ – auf Schwan scheint sie wirklich zuzutreffen: Die Frau ist ein Kommunikationstalent, parliert mit ihren Professorenkollegen in ebenso ungeschminkter Offenheit wie mit Berlins Lokalpolitikern jeder politischen Couleur.

Jetzt will die 55jährige Professorin für politische Philosophie mit ihrem Elan die ganze Hochschule anstecken und sich im Sommer zur Präsidentin der Freien Universität (FU) wählen lassen. Die Besetzung des Amtes, das an anderen Hochschulen als schnöder Verwaltungsjob gilt, war in Berlin stets eine hochpolitische Staatsaktion. Schließlich ging es darum, das geistige Schaufenster des Westens vor kommunistischer Einflußnahme zu bewahren. Nach dem Fall der Mauer geriet die Hochschule im südwestlichen Vorort Dahlem ein wenig in Vergessenheit, auch finanziell. Der amtierende Uni-Chef Peter Gaehtgens nutzte den 50. Geburtstag der FU im vergangenen Jahr, um der Hochschule ein ebenso effizientes wie unpolitisches Image zu verpassen.

Gegen Gaehtgens muß sich die Sozialdemokratin Gesine Schwan jetzt durchsetzen. Der konservative Mediziner möchte seine Verdienste um die Jubiläumsfeiern gewürdigt sehen und die Nachfolge des bei einem Unfall schwer verletzten FU-Präsidenten Johann W. Gerlach antreten, den er bislang nur vertritt. Eine solche Belohnung gönnen ihm viele Kollegen, deren professoralem Naturell der unauffällige Stil des 60jährigen ohnehin entgegenkommt. Auch Schwan selbst hütet sich davor, ihren Kontrahenten direkt zu attackieren.

Offenkundig aber ist, daß ihr Unauffälligkeit weder als wissenschaftliche noch als politische Tugend gilt. Zwar hat sie einst den rebellierenden Studenten eine „falsche Politisierung“ der Hochschule vorgeworfen, doch hält sie an der „guten politischen Aufgabe“ einer „Universität in der Demokratie“ fest. Eine „wertfreie“ Wissenschaft gebe es ohnehin nicht, meint Gesine Schwan.

Vor allem der Uni-Präsident könne die Anliegen der Hochschule nur dann wirksam vertreten, wenn er das Amt „ein bißchen politisch“ verstehe. Schwan will ihre Kontakte, die sie als Mitglied der SPD-Grundwertekommission zur Bonner und Berliner Politik pflegt, vor allem für ihr erklärtes Lieblingsprojekt einsetzen: Auf dem Gelände des früheren amerikanischen Hauptquartiers endlich einen zentralen Campus für die kilometerweit verstreute Hochschule zu schaffen. Wo in den letzten Jahren teils der Bundesnachrichtendienst, teils der Verfall eingezogen ist, sieht sie vor ihrem geistigen Auge ein gesellschaftliches Leben nach dem Vorbild amerikanischer Hochschulen.

Auf einem solchen Campus will sie „interessante Menschen“ zusammenbringen, die sich dort „wohlfühlen“ können. Ein guter Professor, glaubt sie, müsse „als Mensch vorhanden sein“. Sie selbst hat die Wissenschaft vom Persönlichen niemals scharf getrennt. Freimütig redet sie über die privaten Gründe, aus denen sie vor vier Jahren dem Drängen vieler Kollegen widerstand, schon damals den Präsidentenjob zu übernehmen: Sie mußte ihren krebskranken Mann pflegen, ihre Kinder erziehen, sich um ihre Eltern kümmern. Sie sei, so bekennt sie, ein „großer Fan der Familie, dieser kostbaren Institution“ – nicht ohne eilig hinzuzufügen, das gelte, natürlich, auch für „jede andere verläßliche Lebensgemeinschaft“.

Anders als manch männlicher Kollege, dem eine Professorengattin traditionellen Zuschnitts ein Leben nur für die Wissenschaft ermöglicht, scheint Schwan auch die Lebenswirklichkeit heutiger Studenten nicht fremd.

Die traditionelle Abfolge von Studium, Berufspraxis und Familiengründung funktioniere nicht mehr. Heute gelte es, „alle Kugeln gleichzeitig zu balancieren“. Daher plädiert sie dafür, durch Bafög oder Stipendien wenigstens das „dysfunktionale“, nicht auf die Berufspraxis zielende Jobben zurückzudrängen. Teilabschlüsse wie der Bachelor könnten in einem ansonsten wenig strukturierten Studium zu „innerer Klarheit“ verhelfen.

Ihre Studenten freilich klagen mitunter, die rastlose Professorin verwechsle in mündlichen Prüfungen bisweilen die abgesprochenen Themen und halte eine „wenig strukturierte“ Einführungsvorlesung. Schwan spielt den Ball zurück: Viele Studienanfänger wollten „nicht eigenständig denken“ und weigerten sich, das Studium als „schmerzliche Phase der Verunsicherung“ zu akzeptieren.

Daß solche Sätze arrogant klingen können und es vielleicht auch sind, weiß die Professorin selbst. Schließlich sei sie selbst „keine doofe Studentin“ und obendrein durch ihr Elternhaus begünstigt gewesen.

Die Mutter war Sozialarbeiterin – „Fürsorgerin“, wie das damals hieß. Der Vater begeisterte sich schon in der Weimarer Republik für die Reformpädagogik. Während des Krieges engagierten sich die Eltern im Widerstand, versteckten eine Jüdin. Doch gerade weil sie selbst aus einer aufgeklärt- linken Familie kam, fühlte sich die damals 25jährige von der Intoleranz vieler Achtundsechziger abgestoßen.

Später, als Professorin, avancierte die überzeugte Antikommunistin in linken Studentenkreisen zur Lieblingsfeindin. Für die „Motivationslage“ ihrer Kontrahenten aus „verstaubt-bürgerlichen Milieus“, die die autoritären Haltungen ihrer Eltern bekämpften und zugleich unbewußt weitertrugen, hatte sie kein Verständnis. „Ich mußte sehr dazulernen“, sagt sie heute. Im Frühjahr erscheint ein Buch über „Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland“, ein Ergebnis dieses Lernprozesses.

Für ihre künftigen Mitarbeiter im FU-Präsidialamt dürfte unterdessen auch der Band „Politik und Schuld“ von Interesse sein. Dort beschreibt Schwan anhand des bundesrepublikanischen Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit die „zerstörerische Macht des Schweigens“. Auch heute hält sie Offenheit und Argumentationszwang für die wichtigsten demokratischen Tugenden. Daß auch in der Verwaltung der Freien Universität manch ein Strippenzieher lieber im dunkeln mauschelt, ist kein Geheimnis. Auch Schwan weiß: „Es gibt Personen, die alles tun werden, damit ich den Job nicht bekomme.“