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Die USA müssen gestoppt werden

■ Bomben auf Bagdad (II): Der Krieg gegen den Irak ist eine regionale Variante zur Zwangsamerikanisierung der Weltgesellschaft

Bei der jüngsten US-Strafexpedition gegen den Irak ging es um nichts anderes als die Zerstörung des Irak, dessen Territorium seit 1991 der totalen Kontrolle und einem Embargo unterworfen ist. Allein das Ausbleiben von Medikamenten kostete seitdem laut Unicef-Angaben mindestens eine halbe Million irakische Kinder das Leben. Das irakische Volk ist in seiner physischen Existenz bedroht. Dies alles scheint der anglo- amerikanischen Allianz nicht genug zu sein. Innerhalb von vier Nächten wurde im Dezember die zweieinhalbfache Zerstörungsmasse über den Irak abgeworfen wie während des vierzigtägigen Krieges von 1991.

Was hat der Irak verbrochen, was eine derartige Zerstörungswut hätte „erklären“ können? Angeblich hält der irakische Staat noch chemische und biologische Waffen verborgen, welche die Waffenkontrollkommission Unscom nicht auffinden konnte. Diese sollten zerstört werden. Stellt sich die Frage: Wie? Sind diese Einrichtungen tatsächlich existent, aber bisher verborgen geblieben, dann kann man sie logischerweise aus der Ferne weder lokalisieren noch zerstören. Oder aber es gibt sie überhaupt nicht, und das Kriegsziel wäre dann ein ganz anderes als das proklamierte.

Wie sieht es währenddessen mit der Ausrüstung anderer Staaten in der Region mit Massenvernichtungswaffen aus? Israel hat viel früher als der Irak chemische und biologische Waffen produziert, gelagert und auch eingesetzt. Zum Beispiel 1967 Napalmbomben gegen Ägypten und neuerdings Phosphorbomben gegen die Zivilbevölkerung im Libanon. Israel verfügt außerdem über adäquate Langstreckenraketen und Langstreckenbomber. All dies scheint die Gönner Israels trotz dutzendweiser völkerrechtlicher Verurteilungen nicht zu stören. Statt dessen versuchen die Alliierten Israels, den Irak als Sündenbock der Region abzustrafen. Der Irak hat seine Strafe um so mehr verdient, so wird behauptet, als er Kuwait überfallen und sechs Monate lang besetzt gehalten hat. Da wird weggeschaut, wenn im Vergleich dazu der 1947 mittels eines UNO-Beschlusses in der Hälfte Palästinas errichtete Staat die Territorien mehrerer Nachbarstaaten in Besitz nimmt oder annektiert: Die ihm laut UNO-Beschluß nicht gehörende andere Hälfte wurde durch ihn inzwischen annektiert, die syrischen Golanhöhen werden seit 32 Jahren durch ihn besetzt und ebenso seit 16 Jahren 20 Prozent des Libanons.

Aber nicht nur die Israel benachbarten arabischen Staaten wurden und werden von Israel bedroht und angegriffen. Libyen und Tunesien gehören ebenso zu den Opfern seiner aggressiven Politik wie der Irak, der im September 1981 Ziel eines israelischen Luftangriffs war, bei dem die französich-irakische atomare Versuchsanlage Tammouz-Osirak zerstört wurde. Darauffolgende Verurteilungen Israels durch die UNO und entsprechende Resolutionen des UN-Sicherheitsrats seit 1948 haben dank der US-Vetos zu keinen Sanktionen geführt.

Dieses Prinzip der Doppelmoral gilt ebenso für den Besitz von Atomwaffen. Während sich Israel, als einziger Staat im Nahen Osten der dem Atomwaffensperrvertrag noch nicht beigetreten ist, sich straffrei damit brüstet, heute über mehr als 100 Atomsprengköpfe zu verfügen, wird der Irak wegen angeblich versteckter Unterlagen über Nuklearforschung mit Luftkrieg bestraft. Die Reaktion der USA ist gleich null. Die Zerstörungsexpedition gegen den Irak wurde nicht nur durch die USA und Großbritannien geführt, Israel ist in mehrfacher Hinsicht der Dritte im Bunde.

Der israelische Staatschef zeigte sich ebenso wie die Briten und US- Amerikaner sehr erfreut über die Zerstörungen im Irak. Wohl wissend, daß neben militärischen und paramilitärischen vor allem zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser, Museen und Medienanstalten bombardiert wurden. 62 Toten und 180 Verletzten des irakischen Militärs stehen schätzungsweise knapp 2.000 zivile Opfer gegenüber. Die gezielte Zerstörung von Kultureinrichtungen und Begegnungszentren wie Dar-ul-Hikma und Al-Quasr-Al-Abbassy, zwei Symbole der arabischen und universellen Hochkultur und Zivilisation, unterstreicht zudem die menschenverachtende Einstellung der Urheber dieses brutalen Aktes.

Der Dezember-Krieg gegen den Irak war nicht der erste seiner Art gegen die arabische Welt. Er wird mit Sicherheit auch nicht der letzte sein. Mit oder ohne Saddam Hussein im Irak, mit oder ohne Muammar al-Gaddafi in Libyen, mit oder ohne Omar al-Baschir im Sudan wird der Krieg gegen die arabischen Staaten seitens der USA und deren Verbündeten so lange fortgesetzt werden, bis die erhoffte Unterwerfung dieser erdölreichen und geostrategisch wichtige Region realisiert ist. Hinzu kommt, daß diese Völkergemeinschaft ethnisch, historisch, zivilisatorisch, kulturell, religiös und sprachlich über so viele Gemeinsamkeiten verfügt, die sie für eine Integration mit eigenständiger regionaler Ordnung und weltweiter Ausstrahlungskraft prädestinieren. Dies wollen die USA und ihre Verbündeten mit allen Mitteln verhindern. Hierin dürften auch die „Hauptsünden“ Saddam Husseins, Gaddafis und Omar Al-Baschirs liegen. Sie müssen verschwinden, weil sie laut nein zu dieser Unterwerfung gesagt haben. Nein dazu, daß die arabische Nation zur Beuteregion wird.

Für die USA heißt es bereits seit langem: Die 1916 durch das britisch-französische Sykes-Picot-Geheimabkommen erfolgte Zerstückelung und Unterwerfung der arabischen Welt, muß ihre volle Gültigkeit beibehalten. Und ob es George Bush, der dieses Diktat 1991 damit umschreibt, internationale Politik sei Innenpolitik der USA, und die Golfregion sei ein vitales Interessens- und freies Interventionsgebiet der USA, oder ob es Bill Clinton, der 1998 als Grund für diese erneute Zerstörung des Iraks, eine angebliche Bedrohung der US-Interessen angibt, bleibt die US-Botschaft dieselbe: Die Sykes-Picot-Ordnung hat immer noch Bestand, die Araber dürfen nie wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu regieren, geschweige denn, eine Gemeinschaft zu bilden. Und wer das Wesen der Politik der USA kennt, weiß auch, daß die US-Administration fast immer tut, was sie sagt, auch wenn sie nicht immer sagt, was sie tut.

Diese zur Schau gestellte Arroganz der Macht deckt sich mit den in den USA zur Zeit herrschenden intellektuellen Rahmenbedingungen. Manche Abhandlungen von US-Weltstrategen wie Samuel Huntingtons „Krieg der Kulturen“ oder Francis Fukuyamas „Das Ende der Geschichte“ klingen eher wie eine analytische Zumutung als eine objektive und universell ausgerichtete Zukunftsvision.

Diese Schriften zeugen in der Grundtendenz von einer neoimperialen Geisteshaltung und stellen bestenfalls eine intellektualistisch gefärbte Verkörperung eines weltweit um sich greifenden Kretinismus im Zeitalter des 24-Stunden- Fernsehtages dar. Die in verschiedensten Varianten verbreitete Botschaft lautet klar und deutlich: So und nur so wollen die USA die Welt sehen; und die Welt hat so auszusehen. Denn die USA können sich sowieso nicht irren. Hierin steckt jedoch ein Denkfehler der USA: Macht allein reicht nicht aus, um die ganze Welt unterwerfen zu können. Insbesondere wenn die dazu notwendigen gesamtzivilisatorischen Grundlagen und kulturellen Voraussetzungen nicht zu erkennen sind.

Es ist höchste Zeit, daß die Weltgemeinschaft die Herausforderung annimmt, um die neoimperiale Unterordnung der Welt durch die USA zu stoppen. Statt dessen muß ein Dialog zwischen allen verschiedenartigen aber gleichwertigen Völkern und Kulturen aufgenommen werden. Deshalb muß verhindert werden, daß die Art und Weise, mit der der Irak niedergemacht wird, in anderen arabischen Ländern fortgesetzt wird. Das gegenwärtige Schicksal der arabischen Völker, als „Beutenation“ herzuhalten, darf nicht auf andere Völker übertragen werden.

Will man ernsthaft auf eine um Ausgleich und Koexistenz bemühte Vielvölkergemeinschaft hinarbeiten, dann muß man sich in der gegenwärtigen Konstellation konsequenterweise solidarisch zum Irak, zu Libyen, zum Sudan und zu Palästina stellen und sich für die sofortige Aufhebung der Embargomaßnahmen einsetzen. Hamadi El-Aouni

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