: Das Wort USA fällt überhaupt nicht –betr.: „Vierzig Jahre später“, Kommentar von Reynaldo Escobar, taz vom 29. 12. 98
Die Bitterkeit eines mit Berufsverbot belegten Journalisten spricht aus jeder Zeile: Die Revolution ist also „fehlgeschlagen“, und um dies zu belegen, „genügt es, die Versprechungen mit den Ergebnissen“ abzugleichen. Sehr einfach ist dies, insbesondere dann, wenn der Autor mit keinem Wort erwähnt, unter welchen Umständen diese Revolution gezwungen war, sich zu entwickeln. Das Wort USA fällt überhaupt nicht, schon gar nicht wird das seit 40 Jahren andauernde und sich ständig verschärfende Embargo erwähnt. Kein Wort darüber, daß sich die USA anmaßen, entgegen jedem internationalen Recht, nun auch Unternehmen aus Drittländern, die mit Kuba Handel treiben oder dort mit Joint-ventures investieren, in den USA vor Gericht zerren zu wollen, oder darüber, daß die USA in der UNO-Vollversammlung wegen dieser Embargopolitik alle Jahre verurteilt werden (1998 erstmals auch mit der Stimme der BRD bei nur drei Gegenstimmen).
Kein Wort darüber, daß die „Auslandsschulden“ unter anderem auch darauf beruhen, daß die US-dominierte Weltbank und der IWF keinen Pfennig Kredit gewähren und sich Kuba auf dem „freien Weltmarkt“ zu Wucherkonditionen bedienen muß, daß, nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes bei Mas Canosa in Miami schon die Sektkorken knallten, weil das Ende des Experiments Kuba sicher schien. Die darauf anlaufende periodico especial brachte erhebliche Einbußen für die Bevölkerung, doch vor allem mit der Umstrukturierung der Wirtschaft hin zu Joint-ventures, und mit einer beispiellosen Forcierung des Tourismus gelang es in den letzten vier Jahren, das Bruttosozialprodukt kontinuierlich wieder zu steigern mit anhaltender Tendenz.
Daß die „kubanische Revolution ein Winkelzug des Kalten Krieges war“, ist schlicht Geschichtsklitterung: Die Revolution begann ausschließlich als nationalistische und als Reaktion auf die ach so netten Herrschaften von US-Gnaden wie Batista & Co – das sollte der Autor an sich wissen. Erst die anlaufenden Embargomaßnahmen der USA trieben Kuba in die Arme der UdSSR. Die „politischen Gefangenen“ braucht der Autor wirklich nicht zu erwähnen, werden sie doch auch von ai de facto nicht erwähnt. Und die vielen prostituierten Mädchen sind eine üble Begleiterscheinung des Tourismus, sind in ihrer Gesamtzahl aber wohl deutlich niedriger zu veranschlagen, als die von Hamburg alleine. Fakt ist, daß in Kuba niemand verhungert – sehr im Gegensatz zu anderen Ländern der „Dritten Welt“, daß aufgrund eines stark forcierten kostenfreien Gesundheitswesens heute die Lebenserwartung der Bevölkerung ebenso hoch und die Säuglingssterblichkeit nahezu so niedrig ist wie in der BRD, daß es in Kuba solche „schlimmen“ Dinge wie Arbeitslosengeld, Schwangerschaftsurlaub und Altersruhegeld gibt (auf niedrigem Niveau, aber immerhin), daß die Analphabetenquote gen null tendiert und daß das gesamte Bildungssystem kostenfrei ist, daß jedes Kind seinen Kindergartenplatz hat, daß es keine „Straßenkinder“ und keine Drogenprobleme gibt etc. Das sind alles Ergebnisse dieser „fehlgeschlagenen Revolution“, die man natürlich unterschlagen muß, soll die eigene, verständliche Bitterkeit keinen Schaden nehmen. Gunter Lenner, Oettingen
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