piwik no script img

Ab 25 Germanisierungszwang? –betr.: „Dafür gibt es keine Mehrheit“, Interview mit Mainzer Justizminister Caesar, taz vom 10. 2. 99

[...] Diese vernünftige, vielleicht für das deutsche politische Durchschnittsbewußtsein allzu revolutionäre, rechtliche Maßnahme wird bislang auf zwei Aspekte in der Diskussion reduziert: Ausländer gleich Türke/Muslim und Ausländer gleich potentieller Krimineller. Daß derartig vereinfachte und auf einer offensichtlich rassistischen Denkweise basierende und diffamierende Argumentationsweise immer mehr, auch von der taz, unwidersprochen hingenommen wird, ist mehr als bedauerlich.

Es wäre höchste Zeit, daß in solchen Gesprächen/Interviews von seiten der Medien darauf hingewiesen wird, daß mehr als die Hälfte der potentiellen Einbürgerungsberechtigten weder Türken noch Muslime sind, sondern vor allem aus ehemaligen Anwerbeländern wie beispielsweise Italien, Exjugoslawien, Spanien, Portugal herkommen.

Die Unterstellung von Herrn Justizminister Caesar: „Ein Deutsch- Türke (sic!) mit beiden Staatsangehörigkeiten geht wieder zurück in die Türkei und wird dort vielfacher Vater. Diese Kinder sind dann zugleich auch Deutsche. Sie sprechen kein Wort Deutsch, sind nicht in Deutschland und haben keinerlei Bezug zu dem Land, dessen Staatsbürger sie sind.“ Na, da haben wir es. Ein Deutsch-Türke ist eben kein Deutscher (oder arisch Deutscher?). [...] Es fällt einem nicht leicht, soviel latenten Rassismus und unverhohlene Ausländerfeindlichkeit zu ertragen. [...] Vielleicht sind solche Gedankengänge typisch für die Vorbereitung einer sogenannten Kompromißlösung nach dem Vorschlag der FDP, die eigentlich an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist. Doppelte Staatsbürgerschaft bis zum 18. oder 25. Lebensjahr und dann Germanisierungszwang. Es ist kein wirkliches Angbot für ausländische Migranten hier, vor allem für diejenigen nicht, die seit über 20 Jahren hier arbeiten und leben und immer noch nur über die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes verfügen. Vor allem für sie war das Angebot der doppelten Staatsangehörigkeit das Sinnvollste, was sie von dem deutschen Staat bislang erleben konnten. Wie es momentan aussieht, wird leider mit vereinten Kräften aller Parteien, außer von Bündnis 90/Die Grünen, eine wichtige und längst fällige Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts verhindert und durch eine sogenannte Kompromißlösung das Fortbestehen einer Gesellschaft mit den Bürgern erster und zweiter Klasse zementiert. [...] Martin Cavelis, Freiburg

Der Vorschlag der FDP für eine befristete Einbürgerung der Kinder stellt in Wirklichkeit eine unmoralische, unmenschliche und vielleicht verfassungswidrige (GG Art. 16) Lösung dar. Nach ihrer Volljährigkeit werden sie vor einem unerträglichen Dilemma stehen. Wird ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn sie auf ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit nicht verzichten? Wird es dann wieder massenhafte Ausbürgerungen in Deutschland geben? Die rot- grüne Koalition darf auf diesen faulen Kompromiß nicht eingehen. Andreas Christinidis, Politikwissenschaftler, Linden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen