: Synchron die Zunge aus dem Hals gehängt
■ Ingun Björnsgaard Prosjekt tanzt, flirtet und rekelt „pli à pli“ auf Kampnagel
Die Herren haben mit dieser geballten Ladung weiblicher Erotik alle Hände voll zu tun. Fünf Frauen und zwei Männer rekeln sich auffallend rollig und drollig, verhaken sich lüstern ineinander und hauen sich nebenbei mal ordentlich eine rein. So geht es halt zu im Spiel um Nähe und Distanz auf dem Feld der Triebbefriedigung.
Die norwegische Choreographin Ingun Björnsgaard und ihre Compagnie interessieren sich bei ihrer jüngsten Produktion nicht für große Worte wie Liebe, sondern für die kleinen, niederen Motive in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Die Sphären der fleischlichen Lust sind das Thema von pli à pli, nach The Flux Position of an Insulted Eye 1996 und The Solitary Shame Announced by a Piano 1997 das dritte Stück des Ingun Björnsgaard Prosjekt auf Kampnagel.
Die Bühne wechselt übergangslos vom Salon zum Séparée, vom Wohnzimmer zum Kontakthof. Hier zärteln, streiten, flirten und kämpfen alle mit allen, oder auch allein mit sich selbst. Olav Myrtvedt taucht den Raum mit der weinroten, großgeschnörkelten Brokat-Tapete in eine warme Grundstimmung. Statt der angekündigten Falte (pli) bilden die Wände im Zentrum vielmehr eine raumteilende Ecke mit Durchgang. Allerdings beherbergt diese Ecke eine getarnte Spalte, die zwischendurch mal jemanden verschluckt oder ausspuckt.
Aber so sexy, wie das jetzt klingt, ist das alles gar nicht. Das Busen- und Pograpschen wird laufend von grotesker Situationskomik gebrochen. Dabei kontrastiert wirkungsvoll die Strenge der tänzerischen Form mit dem Ausdruck banaler Alltäglichkeit; etwa wenn den Tänzerinnen während ihrer anmutigen Synchronbewegungen die Zunge weit aus dem Hals hängt. Leicht peinlich ist es nur, wenn es allzu pantomimisch wird. Sehenswert hingegen, wie Björnsgaard die unterschiedlichen Persönlichkeitsprofile hervorhebt und miteinander kombiniert. Ihr sicheres Gespür für Tempo- und Stimmungswechsel treibt die Aufmerksamkeit nonstop von verwirrenden Parallelaktionen zu leisen Solonummern, von wildgewordenen Alleingängen zu synchronen Formationen. Das ist der Rhythmus, wo man mit muß, und so gesehen steht fest: pli à pli ist sexy.
Birgit J. Neumann
noch bis morgen und 3.-6.März, jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen