Der Zufallsbürgermeister und seine Freundin    ■ Von Ralf Sotscheck

Da hat die irische Sunday World aber einen Coup gelandet: Limericks Bürgermeister treibt es mit seiner Freundin im Auto auf einer abgelegenen Straße in den Bergen und wird dabei fotografiert. Das Blatt breitete die Geschichte auf zwei Seiten aus und machte auch noch die Titelseite damit auf. Ist ja auch allemal spannender als der Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.

Fragt sich, welches der beiden Ereignisse eigentlich ein Skandal ist. Bei Bürgermeister Joe Harrington und seiner Freundin Kay Lyons konnte der kleinformatige Schmutzkübel lediglich mit Fotos von bürgermeisterlichen Empfängen aufwarten, denn sie sind ganz offiziell ein Paar, seit beide geschieden sind. Die Sunday World trat vergeblich mit der Bildunterschrift „Harringtons juwelenbehängte Freundin“ unter die Gürtellinie, denn auf dem Foto trägt Kay Lyons insgesamt zwei Ohrringe, in jedem Ohr einen.

Natürlich stimmte an der ganzen Geschichte so gut wie nichts. Joe Harrington ist parteiloser Sozialist, und daß so einer Bürgermeister der viertgrößten irischen Stadt werden kann, wurmt die Gossenschreiber der Sunday World. Limerick ist wegen der gleichnamigen fünfzeiligen Reime bekannt, obwohl sie wenig mit der Stadt zu tun haben, Frank McCourts Buch „Die Asche meiner Mutter“, in der er ein düsteres, wenn auch lustiges Bild der Stadt malt, dagegen viel.

Wir kennen Joe seit langem. Als im vorigen Juli gemeldet wurde, daß er Limericks Bürgermeister geworden ist, haben wir das zunächst für einen Witz gehalten. Wie konnte das passieren? Die lokale Labour Party hatte sich offenbar zu sicher gefühlt. Als stärkste Partei hatte sie jedes Jahr, wenn der Bürgermeister gewählt wurde, einen Deal mit den anderen Parteien gemacht, so daß jeder mal dran war – außer Joe und die erzkonservative Fine Gael, was „Stamm der Gälen“ bedeutet. Die Stammesgälen ärgerten sich dermaßen darüber, daß sie Joe als Kandidaten nominierten. Da auch zwei Labour-Dissidenten und die anderen Parteien für Joe stimmten, war er plötzlich Bürgermeister. Die Labour-Stadtverordneten sollen tagelang mit offenem Mund herumgelaufen sein, denn sie hatten nie und nimmer damit gerechnet, daß Fine Gael in ihrer Rachsucht so weit gehen würde, ihren politischen Erzfeind ins Amt zu hieven.

Wollten die Labour-Leute nun Joe eins auswischen und bedienten sich dabei der Sunday World? „Ich bin über 50“, sagte Joe, „und Kay ist auch nicht viel jünger. Wir haben eigene Wohnungen. Warum sollten wir auf den Berg fahren, um es im engen Auto zu treiben?“ In Wirklichkeit hatten sie gerade auf der Haupstraße in Limerick geparkt, als sie einen Mann auf einer Mauer mit einem Abhörgerät bemerkten, dahinter einen zweiten mit Strumpfmaske, der etwas wie eine Waffe auf sie richtete.

Weil einem als Bürgermeister ein Handy zusteht, konnte Joe die Polizei rufen. Die beiden Männer wurden festgenommen, wobei es den Beamten nicht einfiel, dem Maskierten den Strumpf herunterzureißen. Die Waffe entpuppte sich als Kamera, die Männer als Privatdetektive, doch für wen sie arbeiteten, wollten sie nicht verraten. Die Geschichte ist bereits im September passiert, aber erst jetzt kam das Blatt damit heraus. So lange wurde noch nie eine Ente ausgebrütet.